19.8.17

Krimi der Woche
Großes Geld für einen kleinen Gauner



Großes Geld für einen
kleinen Gauner

 Von Richard Janssen



Eigentlich ist er nur ein gewöhnlicher Taschendieb, doch als sich Hubert die Chance bietet, einen dicken Fisch zu angeln, greift er spontan zu...

Hubert war mit seinen 1,60 Meter im wahrsten Sinn des Wortes nur ein »kleiner Dieb«. Allerdings hatte Hubert das nie als Nachteil empfunden. Im Gegenteil - wenn zum Beispiel einer dieser baumlangen Polizisten oder wendigen Warenhausdetektive hinter ihm herhetzte, dann konnte er sich mit Leichtigkeit durch eine Lücke verdrücken, vor der Normalgewachsene resignieren mussten.
  Dass er in den Kaufhäusern kein gern gesehener Kunde mehr war, machte Hubert nichts aus, seitdem er die großen Verbrauchermärkte am Stadtrand entdeckt hatte.
  In diesen Konsumburgen sprudelte für Hubert eine nie versiegende Geldquelle. Wenn hektische Hausfrauen übervolle Einkaufswagen durch die Gänge schoben oder sich heimwerkende Ehemänner in Baumärkten Holzpaneele zuschneiden ließen, dann griff Hubert zu, entwendete Portmonees und Geldbörsen, Brieftaschen und Kreditkarten.
  An diesem Tag hatte Hubert im »Kauf-Paradies« schon zwei Hausfrauen erfolgreich bestohlen, als ihm auffiel, dass etwas im Gange war.
  Der Geschäftsführer, den Hubert vom Sehen kannte, stand mit einem anderen gut gekleideten Mann vorn an den Kassen hinter einem kleinen Tisch, auf dem etwas lag, was Hubert nicht erkennen konnte, weil es mit einem Tuch zugedeckt war.
  Hubert überlegte nicht lange und schlug den Weg zu den Büros ein. Denn wenn sich die Geschäftsführung im Laden auffielt, so sagte er sich, mussten die Büroräume leer sein.
  Er behielt Recht. Gleich im ersten Büro entdeckte er auf einem verlassenen Schreibtisch einen offenen Briefumschlag, aus dem verheißungsvoll zwei nagelneue 500-Euro-Scheine ragten. Ohne zu zögern griff Hubert zu.
  »Was machen Sie denn hier?«
  Er hatte die Sekretärin nicht hereinkommen hören. Hubert handelte blitzschnell, indem er die überraschte Frau an sich riss und ihr mit einer Hand von Mund zuhielt. Er platzierte sie auf einem Bürostuhl und hatte sie innerhalb von fünf Minuten mit der Telefonschnur gefesselt. Auf den Mund klebte er ihr einen Streifen Paketklebeband.
  »Keine Mätzchen!«, warnte er sie noch, bevor er mit dem Geld in der Tasche das Büro verließ.
  Er hastete an den anderen leeren Büros vorbei bis zu der grauen Stahltür, die zur Laderampe führte.
  Zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass sie ausnahmsweise einmal verschlossen war. Kein Ausweg für Hubert. Er musste wohl oder übel durch den Laden.
  Die beiden Fünfhunderter brannten wie Feuer in seiner Brusttasche, als er wieder den Verkaufsraum betrat und sich einen der herumstehenden Drahtwagen griff. Betont gelassen strebte er zwischen Toastbrot und Kaffeesonderangebot den Kassen entgegen.
  Um nicht aufzufallen, lud Hubert ein paar Fischkonserven und verschiedenes Knabberzeug in den Wagen. Mit pochendem Herzen reihte er sich schließlich in die Schlange der zahlungswilligen Kunden ein.
  Der Geschäftsführer und sein Begleiter standen immer noch an ihrem Tischchen am Ausgang. Sie tuschelten jetzt ein wenig aufgeregter als vorhin miteinander und betrachteten immer wieder die wartende Kundschaft.
Doch nicht etwa ein neues Sicherheitssystem? fragte Hubert sich bang. Ihm brach der Schweiß aus. Rasch rekapituliert er, wo man ihm möglicherweise beobachtet haben könnte - doch es fiel ihm nichts ein.
  Er hatte die geklauten Brieftaschen und Geldbörsen sofort geleert und sie hinter irgendwelchen Waren versteckt. Und auch den beiden Fünfhundertern in seiner Brusttasche sah man nicht an, dass sie vor zehn Minuten noch jemand anderem gehört hatten.
  Die Kassiererin rechnete Huberts Einkäufe zusammen. Er bezahlte mit einem Hunderter aus einer der geklauten Brieftaschen und wollte sich gerade erleichtert auf den Weg zum Ausgang machen, als ihm der Geschäftsführer in den Weg trat.
  Hubert spürte, wie man ihm seinen Blumenstrauß in die Arme drückte, dann flammte ein Blitzlicht auf und wie durch eine Watteschicht hörte er, wie der Geschäftsführer zu dem sagte:
»Mein Herr, ich darf Sie als den einmillionsten Kunden unseres »Kauf-Paradieses« begrüßen! Die Geschäftsführung freut sich, dass Sie uns Ihr Vertrauen geschenkt haben und möchte Ihnen als kleine Anerkennung ein Geschenk machen!« Er zog das Tuch vom Tisch und unter den »Ahs« und »Ohs« der Umstehenden kam ein gigantischer Präsentkorb zum Vorschein. Hubert war wie gelähmt.
»Aber..«, begann er.
  »Aber das ist noch nicht alles!«, fuhr der Geschäftsführer fort. »Denn außer diesem Korb bekommen Sie noch eintausend Euro - zwei nagelneue Fünfhundert-Euro-Scheine - für die Sie hier im Kauf-Paradies nach Lust und Laune einkaufen können.« Er wandte sich an seinen Begleiter und sagte leise: »Seien Sie doch so nett, Herr Breuer und holen Sie den Geldpreis aus meinem Büro. Das Kuvert liegt auf dem Schreibtisch … oh … da, sehen Sie, unser Jubiläumskunde ist wohl vor lauter Freude ohnmächtig geworden.«
 

 ENDE 





© beim Autor / Jahn facts&fiction
Richard Janssen:
Großes Geld für einen kleinen Gauner,

erschien in der Zeitschrift
»Neue Welt«, Düsseldorf, Heft 9/2010