6.3.14

Ruhr-Nachrichten 2.1.1982
Widerworte aus der Küche - Portrait Otti Pfeiffer


Widerworte aus der Küche

Ihre "Widerworte aus der Küche' sind keine Emanzipationsliteratur: Im Mittelpunkt der Kinder- und Jugendbücher von Otti Pfeiffer stehen Heranwachsende, die sich langsam von ihren Eltern lösen, um ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln.
Von Reinhard Jahn

Zu den professionellen Selbstdarstellern der Literaturszene und den mediengerechten Autorenpersönlichkeiten gehört sie sicherlich nicht. Dazu ist Otti Pfeiffer aus Herdecke viel zu sehr Hausfrau und Mutter geblieben, die nur "nebenbei" schreibt, dafür aber in ihren Aussagen und der Intensität ihrer Arbeit ebensoviel leistet wie jeder hauptberufliche Schriftsteller.

"Ich habe viele, viele Jahre gelebt, ohne eine einzige Zeile zu schreiben", sagt sie. "Ich habe einen Beruf gelernt, geheiratet, drei Kinder bekommen und bin dann wieder in den Beruf gegangen. Mit 40 habe ich erst angefangen zu schreiben, das ist ganz plötzlich aus mir herausgekommen." Trotzdem ist der Titel ihrer ersten Veröffentlichung aus dem Jahre 1972 -  "Widerworte aus der Küche" - nicht programmatisch zu verstehen, denn mit Emanzipationsliteratur oder schicken Frauenbekenntnissen haben ihre Texte nicht viel zu tun. Es sind vielmehr einfache und schlichte Bilder,' in denen deutlich wird, in welche Widersprüche wir verwickelt sind, wie machtlos wir vor den durchkonstruierten Machtmitteln stehen, wie unvollkommen zwischen allem Perfekten.

Ohnmacht
entmachtet nicht
das Mächtige
Ohnmacht
ist Bewusstlosigkeit
Bewusstlos
sind wir immerhin
glücklich

Mit den "Widerworten" wurde aus Ottilie Pfeiffer, der Hausfrau und Mutter die Autorin Otti Pfeiffer, die inzwischen mit ihren Kinder- und Jugendbüchern bekannter geworden ist, als mit ihren lyrischen Arbeiten oder ihren Erzählungen.
Egal, ob sie nun verspielt und träumerisch die Geschichte von "Großen Olaf und den kleinen Knüpsen" oder realistische Geschichten aus der Welt der Jugendlichen erzählt wie beispielsweise in "Zeit, die durch die Sanduhr läuft" - wichtig ist für sie immer nur die Geschichte, die es zu erzählen gilt. Es sind Geschichten von Kindern und Heranwachsenden, die mit übergroßen, scheinbar erdrückenden Gefühlen zurechtkommen müssen, die ihre Beziehungen zu ihren Eltern und ihrer Umwelt neu. begreifen und sich dadurch zu eigenen Persönlichkeiten entwickeln.
"Ich lege sehr viel Wert auf Gefühle und das Gestimmtsein von Personen", sagt sie. Was aber nicht heißen soll, dass sie "gefühlvoll" schreibt. Vielmehr: "Es ist wichtig, Gefühle) festzuhalten. Ich denke an das, was Kinder möglicherweise in einer bestimmten Situation empfinden."
Denn die Gefühle der Kinder unterscheiden sich gar nicht so sehr von denen der Erwachsenen. "Nur als Erwachsener weiß ich, wie man damit umgehen kann. Wenn man Angst hat, dann kann man bei jemandem Schutz suchen - aber ein Kind kann von dieser Angst erdrückt werden." Die Geschichten, die Otti Pfeiffer erzählt, bestechen durch ihre Einfachheit und durch die Genauigkeit, il mit der sie die Gedanken und Gefühle ihrer jugendlichen Helden erfasst.
"Ich kann nicht sagen, ob ein Junge oder ein Mädchen so ist, wie ich es darstelle", erklärt sie, "Ich würde eher sagen, dass ich mich selbst so verhalten hätte, wenn ich in eine solche Situation geraten wäre." Und Reaktionen der zahlreichen Kinder, die bei Lesungen oder Diskussionen immer wieder sagen "Ja, so war es!" und "Woher haben Sie das gewusst?" fragen, geben ihr recht: die Gefühle der Erwachsenen unterscheiden gar nicht so sehr von denen der Kinder. .
Otti Pfeiffers Jugendromane sind aber immer auch Beschreibungen einer Loslösung vom Elternhaus. Da gibt es in "Zeit, die durch die Sanduhr läuft" die fünfzehnjährige Melanie, die plötzlich erkennt,  dass es besser ist, sich ein wenig von ihren Eltern zu lösen. Sie entdeckt, dass sie an der Schwelle des Erwachsenenseins steht und ihren eigenen Weg gehen muss.
"Das muss sein, dass man sich aus solchen Beziehungen löst", sagt Otti Pfeiffer zu diesem Thema der persönlichen, individuellen Emanzipation ihrer Figuren. "Es ist die Vorstellung, dass man ein ganz eigener Mensch ist und sein eigenes Lehen führen muss. Wenn zum Beispiel eine Mutter-Tochter-Beziehung nicht irgendwann einmal gelöst wird, ist es unmöglich eine neue, gleichberechtigte Beziehung miteinander aufzubauen." Und das ist dann ein größerer Verlust als der kurze Schmerz bei der Trennung des Kindes von der Mutter.

Schau nicht zugleich
mit mir
in den Spiegel, Mutter
In deinen Augen
so war ich.
Ich denke:
So werde ich sein.
Komm, wir verhängen
die Spiegel,
wir kennen uns doch

 Beim Schreiben selbst allerdings steht dieses Thema niemals plakativ im Vordergrund, viel wichtiger ist ihr die spannende oder interessante Handlung, die sie erzählen möchte.
Denn konfektionierte Sozialkritik und glatte Ideologien sind ohnehin nicht ihre Sache, nicht umsonst bevorzugt sie Erzählungen in der Ich-Form, die sich nur mit den Problemen und Gefühlen einer einzigen Person beschäftigen.

Ein bisschen Erinnerung an die eigene Kindheit ist sicherlich auch stets dabei, wenn sich Otti Pfeiffer vormittags ("Da bin ich allein und kann am besten arbeiten!") an die Maschine setzt, um zu schreiben. Aber auch die Anregungen, die sie durch ihre mittlerweile fast erwachsenen Kinder bekommt, die Probleme des Schulalltages und des Familienlebens greift sie auf, entwickelt eine Erzählung daraus, beschäftigt sich mit ihnen, versucht sie zu verstehen und ihnen auf den Grund zu gehen.
Was ihre Mutter geschrieben, erfahren die Söhne Michael (19 und Ingo (17) und Tochter Suse (13) zumeist allerdings erst, wenn das Buch gedruckt worden ist. Dann weiß Otti Pfeiffer wenigstens, dass es dem Lektor und dem Verleger gefallen hat. Und: "Häusliche Kritik habe ich sowieso nicht so gern!"
Reinhard Jahn

Kasten Zur Person
Otti Pfeiffer, geboren 1931 in Wesel. Sie besuchte die Volksschule, die Realschule, anschließend das Abendgymnasium. Ausbildung zur Diplom-Bibliothekarin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern Michael (19), Ingo (17) und Suse (13) in Herdecke, ist Hausfrau und Mutter und arbeitet als Teilzeitkraft in der Stadtbücherei Dortmund-Hombruch.
Nachdem sie als 20jährige für kurze Zeit einmal Gerichtsreporterin für eine Lokalzeitung gearbeitet hatte, begann sie erst mit 40 Jahren wieder zu schreiben und zu veröffentlichen. Arbeitsgebiete sind neben kurzen Prosatexten und Lyrik besonders Kinder- und Jugendbücher, Erzählungen und Texte zu Bilderbüchern.
Bücher:
-Widerworte aus der Küche, Kurzprosa, Wulff-Verlag 1972
-Machen wir mal einen Sandsturm, Kinderbuch, Schneider-Verlag, 1976
-Träume stehen auf dem Stundenplan, Jugendbuch, Schneider-Verlag, 1978
-So klein mit Hut, Kinderbuch, Schaffstein-Verlag, 1978
-Zeit, die durch die Sanduhr läuft, Jugendbuch,. Schaffstein-Verlag, 1979
-Der große Olaf und die kleinen Knüpse, Kinderbuch, Dressler-Verlag,1980

Reinhard Jahn: Widerworte aus der Küche – Portrait Otti Pfeiffer
Ruhr-Nachrichten (Dortmund), 2.1.1982 (Wochenend-Ausgabe)