19.1.14

MARABO 6/1981
Tatort Ruhrort
Drehbericht vom ersten Schimanski-Tatort

TATORT RUHRORT
Nichts Neues aus dem Kohlenpott
Götz George übernimmt die Rolle des neuen WDR-TATORT-Kommissars
Von Reinhard Jahn

Die Meute lauert, labert und friert. Dreißig sensationshungrige und tatendurstige Journalisten sind dem Ruf des WDR gefolgt und lungern in der Alten Duisburger Straße in Ruhrort um einen Polizeiwagen herum, an dem ein gebräuntes Mannsbild posiert, den linken Arm auf der geöffneten Tür, die rechte Hand locker aufs Wagendach gestützt.

TATORT in Ruhrort - a Kommissar is born: Götz George ist Horst Schimanski, das Duisburger Raubein mit der Rockervergangenheit und der Kripogegenwart. Das wollen die Leser wissen, das interessiert die gesamte Medienlandschaft von der 'Frau mit Herz' bis zur 'HörZu'.
In dem hundertfachen Klicken und Surren der Nikons, Canons und Rolleis geht das Agfa-Klack eines einsamen Zaungastes unter. Hier arbeiten Profis. und es gibt viel zu tun.
Fünfzehn rasende Reporter hecheln hinter Götz vom Polizeiwagen zum Drehort an der Hafenmauer her. Die Ohren sind gespitzt. die Stifte gezückt. Es dürstet nach Information.
"Im Grunde genommen ist der Schimanski ein kaputter Typ!" memoriert George (42) Sohn des großen Heinrich, den Pressetext, den alle in der Tasche haben. Des Journalisten Feder eilt übers Papier, um das Götz-Zitat der Nachwelt zu bewahren. Und ewig surren die Kamera-Winder.
"Ich bin ein kaputter Typ!", schreit es nächsten Tages vierspaltig von der regionalen Seite.
Der kaputte Typ soll dem maroden Krimiflaggschiff der ARD ein wenig frischen Wind in die schlaffen Segel blasen -  ob's gelingt ist freilich jetzt schon fraglich, weil die von den Presseabteilunge der Anstalten willig gefütterten Programmillustrierten die Ansprüche an den neuen Kommissar bereits wieder in Höhen gejubelt haben, die von den öffentlich-rechtlichen Produzenten niemals zu erreichen sind.

Mit dem Film "Taxi nach Leipzig" begann vor Jahren das ambitionierte ARD-Projekt, das dem Krimiseher beweisen sollte, dass nicht nur ZDF-Vielschreiber Herbert Reinecker und sein Produzent Helmut Ringelmann in der Lage sind, mit Mord und Totschlag Unterhaltung zu liefern. Reineckers Serien 'Der Kommissar' und 'Derrick' kombinieren das Vorbild amerikanischer Serienkonfektion mit deutschen Ambiente, und das einfache Rezept der Münchner Macher ging auf:
Eintopf schmeckt doppelt so gut, wenn man ihn noch mal aufkocht.
TATORT hingegen sollte die creme de la crime werden: Neunzig Minuten Fernsehspielformat, ein Millionenbudget pro Folge, dazu erstklassige, auf die jeweilige Region bezogene Drehbücher und eine exquisite Regie. Wenn jemand den Mund derart voll nimmt, ist es kein Wunder, wenn er sich verschluckt.
Und so verging den stürmischen und drängenden TATORT-Machern die Experimentierfreudigkeit ziemlich rasch, als besonders die von Wolfgang Menge verfassten WDR-Episoden um die Abenteuer des Zollfahnders Kressin bei Kritik und Zuschauern auf wenig Gegenliebe stießen. Die Freiheiten der Konzeption, von dem Hamburger Kriminalreporter Friedhelm Werremeier zu Drehbüchern wie "Richter in Weiß" oder "Ich verkaufe mich exclusiv" genutzt, wurden rigoros auf ein engmaschiges Serienschema zurechtgestutzt. Was zur Folge hatte, dass Lichtblicke wie das 'Reifezeugnis' von Herbert Lichtenfeld (Buch) und Wolfgang Petersen (Regie) zur Ausnahme und der bodenständige 'Wer-ist's-denn-nun-gewesen!Schmäh' des Wieners Fritz Eckhardt zur Regel wurde.
Als es auch nichts mehr half, den komatösen Serien-Patienten durch frisches Kommissarsblut wieder zu Bewusstsein zu bringen, schoben die Verantwortlichen Redakteure den schwarzen Peter einfach  weiter. Es gäbe keine guten Autoren mehr, klagten sie en Journalisten der Programmzeitschriften, denen es von Anfang an ein Vergnügen gewesen war, die TATORT-Leichen zu fleddern.  Nun waren aber die guten  Autoren nicht von heute auf  morgen vom Erdboden verschwunden, vielmehr hatten Spannungsschreiber wie Karlheinz Willschrei, Herbert Lichtenfeld oder Henry Kolarz keine Lust mehr, ihre Drehbücher einer Meute änderungswütiger und besserwisserischer Redakteure auszuliefern und sie nachher auch noch von zweitklassigen Regisseuren verhackstücken zu lassen.

Einstweilen behalf man sich in den Redaktionsstuben mit hochgepäppelten Stories aus der Feder mäßig begabter Routiniers. denen es mehr um die 20000 Mark Autorenhonorar als um eine gute Geschichte ging und beauftragte Produktionsvollzieher ohne Inspiration mit der Regie.
Was zur Folge hatte. dass beispielsweise Fritz Umgelter eine von einem Nürnberger Richter erdachte Geiselnahmegeschichte derartig trocken inszenierte, dass die hernach als Polizeilehrfilm eingesetzt werden konnte.
Welches Niveau der TATORT wieder erreichen könnte, hat erst kürzlich der März• Beitrag des lange glücklosen Senders Freies Berlin gezeigt: Altmeister Herbert Lichtenfeld verfasste die 'Beweisaufnahme' die von Regisseur Peter Keglevic mit hervorragenden Schauspielern zu einem spannenden und realistischen Kriminalfilm umgesetzt wurde. Diese Geschichte hatte alles. was ein TATORT eigentlich haben sollte: Lokalkolorit, eine außergewöhnliche, spannende Handlung, lebensechte Figuren, filmisches Format. Einen solchen Lichtblick allerdings sollte man von der Story, die augenblicklich im Duisburg-Ruhrorter Hafen mit Götz George als Kommissars-Mime abgedreht wird, nicht erwarten. Schon ein Blick auf das Handlungstreatment zeigt, dass den beiden und Autoren Harald Vocks und Thomas Wittenburg nichts besonderes eingefallen ist: Ein Rheinschiffer ist ermordet worden, ein Türke wurde von der Landsleuten umgebracht und   Kommissar Schimanski kommt bei seinen Ermittlungen einem Waffenschmuggler  auf die Spur.

Wenn das Filmwerk am 28. Juni über die Bildschirme flimmert, wird man schnell sehen, wie Regisseur Hajo Gies den bereits im Titel ausgesprochenen Lokalbezug versteht: Duisburg-Ruhrort liefert den auswechselbaren, auf Schauwerte reduzierten Hintergrund für eine 08/15-Geschichte, die man ohne viel  Mühe auch in Oberbayern oder Schwaben hätte ansiedeln können. Und die Zuschauer ebendort werden in den Bildern, die sie sehen, ihr Ruhrgebietsklischee bestätigt finden: Dreckiger Hafen und wie die Faust aufs Auge ein Kommissar der sich auch mal die Hände dreckig macht.  Nichts Neues aus dem Kohlenpott.
Der obligate, bei jedem Kommissarwechsel fällige Presserummel lässt die Berichterstatter unbefriedigt  und frierend an einer Hafenmauer zurück, während das Team unten auf einem Binnenschiff eine 30-Sekunden-Sequenz abkurbelt.
Nachdem zum Schrecken der Binnenschiffer und zum Ärger der BAVARIA-Crew zunächst ein Haufen Fotoreporter heuschreckengleich den vertäuten Kahn geentert hat, dauert es eine Viertelstunde, bis auch der letzte Fotograf von Bord vertrieben ist und nun dort steht, wo er nach Meinung der Filmleute hingehört: ganz weit weg auf der Hafenmauer. Da werden dann halbmeterlange Teleobjektive vor die Linsen geschraubt, während die verschreckte Pressedame des WDR ihre Unwissenheit über Produktionsdetails und -hintergründe in schöne Worte kleidet. Spaß haben an diesem Nachmittag nur die drei extravaganten Damen• auf dem Balkon des Hauses, das direkt am Wasser steht: Sie können zwei Stunden lang Götz George bewundern.


Der Schimanski
"Kein Freund von halben Sachen..." soll dieser Horst Schimanski sein, der in den bislang sechs projektierten TATORT-Folgen des WDR von Götz George dargestellt wird. Ein Mann, der aus dem Arbeitermilieu stammt, im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen ist. Nach Schulabschluss und Mechanikerlehre - so die von Produzent, Regisseur und Darsteller erdachte Vita weiter - trampte Horst Schimanski zwei Jahre durch die Welt, um schließlich im Alter von 21 Jahren zu entdecken, dass er eine Affinität zu Recht und Ordnung hat: er bewirbt sich bei der Schutzpolizei, macht Streifendienst, bewirbt sich bei der Kripo. Jetzt ist er 40 und hat's• bis zum Hauptkommissar gebracht.
"Er weiß, wie Verbrechen und . Verbrecher zustande kommen", lautet die ihm von BAVARIA-Produzent Hartmut Grund verordnete Berufsmoral. "Obwohl er auf dem Gesetz beharrt, kann er zwischen dem großen Verbrecher und dem kleinen Gauner unterscheiden. " Götz George spielt die Rolle mit der sensiblen Brutalität eines Westentaschen-Bronson  und meint: "Auf alle Fälle werden wir mit den Leuten Ärger kriegen, die den Saubermann im Wohnzimmer haben wollen." Weil es sich bei Haferkamp/Felmy bewährt hat, wurde auch dem Schimanski ein kaputtes Privatleben zugeschrieben: obwohl er es, mehrere Mal versucht hat, ist er bis heute nicht verheiratet, lebt in einem Appartement, zieht aber häufiger um.
R. Jahn

Reinhard Jahn
Tatort Ruhrort - Drehbericht
Veröffentlicht in Marabo, Bochum 6/1981
und Siegerland-Tip 6/1981