22.10.13

Die Mordsberatung auf WDR5:
Thema E-Book und Internet / Factsheet











Factsheet
Die telefonische Mordsberatung auf WDR5
Krimis im Internet: Spannung 2.0

E-Books, Social Reading oder Transmedia Storytelling - das sind die Schlagworte, die bei der Frage nach der Zukunft des Buchmarktes fallen. Was bedeutet diese Entwicklung für das Genre Krimi?
Die Krimiexperten der telefonischen Mordsberatung haben ermittelt, wie sich Internet, Digitalisierung und neue Leseformen auf den Krimi und seine Präsentation auswirken.
Und selbstverständlich geben Ulrich Noller (KrimiZeit-Bestenliste), Reinhard Jahn (Bochumer Krimiarchiv) und die Journalistin Ingrid Müller-Münch nicht nur Tipps für den Krimi 2.0, sondern haben auch die derzeit aktuellen Print-Neuerscheinungen gelesen.


Die Mordsberater Ihres Vertrauens: 
Reinhard Jahn, Thomas Hackenberg, Ingrid Müller-Münch, Ulrich Noller
(Foto mit freundlicher Genehmigung des WDR)














Wie verändert das Internet den Buchmarkt und den Krimi?

1. Technisch
Man kann Krimi nicht mehr nur als Papierbuch lesen ("Holzbuch", "Analogbuch", "Hartbuch"), sondern auch als E-Book auf einem speziellen E-Book-Reader oder auf einem Tablet-Computer oder notfalls sogar auf seinem Smartphone.

2. Strukturell
a) LESER: Man kauft E-Books im Internet in speziellen Stores, auf speziellen Plattformen  und lädt sie wie MP3-Musikdateien auf das eigene Lesegerät herunter. Die technische Revolution wird das Ende des tradionellen Buchhandels bedeuten.
Beratung und Information finden in Sozialen Netzwerken und Blogs und Foren statt.

b) AUTOREN: Man braucht keinen Verlag mehr. Durch die neue Technik ist mit kleinen Einschränkungen JEDER in der Lage ein Buch (E-Book) zu publizieren und zu vermarkten. Das wird nicht ohne Folgen für die Verlagslandschaft bleiben.

3. Inhaltlich
Das normale E-Book ist in der Regel genau wie das Papierbuch ein Text, der linear gelesen wird.
In einem weiteren Schritt werden die Möglichkeiten der Internetanbindung  und der Mulimedia-Fähigkeit der Lesegeräte inhaltlich und künstlerisch genutzt werden.

a) mit enhanced e-books, bei denen zusätzlich zu Texten auch Filme, Audios, weitere Erklärungen abgerufen und eingeblendet werden können.

b) durch trans media storytelling, bei dem der E-Book-Text ergänzt und die E.Book-Story weitererzählt wird in anderen elektronischen Medien.



Beispiel:  "Level 26" von Anthony Zuiker. (Bastei)
http://www.level26.com
An bestimmten Stellen des Buches gibt es Codes, die man auf einer Vidoeplattform zum Buch eingeben kann, um dann die "Videos" zu sehen, die der Held der Geschichte im Buch sieht. Oder um Akten zu sehen, die der Held der Story liest etc.



Beispiel: Deathbook von Andreas Winkelmann (Wunderlich)
www.deathbook-der-thriller.de/
Der aktuelle Thriller von Andreas Winkelmamm ist gleich in zwei Bereichen innovativ. Ersten kommt er als App für Smartphones und Tablet-PCs daher und wird in 10 Teilen verkauft – wie ein Fortsetzungsroman in wöchentlichen Lieferungen. Erst am Ende wird es ein aufbereitetes "Gesamtbuch" geben.
Zweitens entwickelt Winkelmann seine Geschichte unter Nutzung der Smartphones und Tbalets seiner Leser. Worum geht es?
Kathi Winkelmann, die 16-jährige Nichte des Autors ist tot. Der Autor ist, genau wie Kathis Mitschülerinnen und ihre Familie schockiert. Wie ahnen, was mit ihr geschehen ist – denn wir haben ein Video eines Mädchen gesehen, das offnebar gefesselt auf Eisenbahngleisen liegt, auf denen sich ein Zug nähert.
Autor Andreas Winkelmann erzählt, wie er in Kathis Nachlass auf ihrem Computer bedrohliche E-Mails findet – mit Filmen als Anhang, aus denen hervorgeht, dass jemand Kathi offenbar gestalkt hat.
Und zugleich meldet sich  in der Geschichte per Mail und Chat eine anonyme Perosn, die deutliches Interesse an der ungeschnittenen Version von Kathis Todesvideo hat.
Außerdem findet eine Bloggerin in ihrem Blog E-Mail-Hilefrufe, die sie veröffentlicht und der Autor "Winkelmann" ist aufs facebook als Ansprechpartner für seine "Errmittlungen" greifbar.
Die Interaktion des Buches mit dem Leser kann sogar soweit gehen, dass er (weil er sich zu Beginn mal angemeldet hat) SMS auf sein Handy erhält oder sogar Briefpost von Personen der Geschichte.

Fazit: Interessanter und spannender Ansatz. Die Story ist aber sehr stark auf die technischen Umstände (Smartphones, Chats etc) bezogen und baut damit eine hohe Schwelle für den "gewhnlichen" Leser auf. In der engen Verbdiung der verschiedenen Elemente ähnelt das Deathbook eher einem Computer- oder Videogame – freilich ohne die Möglichkeit, die Handlung zu beeinflussen.

Andreas Winkelmann: Deathbook Episode 1. Rowohlt E-Book Plus. Kindle-Edition mit Audio/Video. 2013. Rowohlt E-Book
Das «Deathbook» erscheint ab dem 24. September 2013 als digitaler Serienroman in zehn Teilen. Die einzelnen Folgen erscheinen jeweils im Abstand von einer Woche zum Preis von 1,49 €.




















20.10.13

Rheinischer Merkur 11.Mai 1985
Thriller mit Tiefgang


Jahr für Jahr schreibt Peter Schmidt einen Krimi

"Unsinn!" sagt er, wenn man ihn fragt, ob er denn Geheimdiensterfahrung habe wie sein Kollege John le Carre oder gar Einblick in das Innenleben der linken Terrorszene. "Man muss doch auch nicht Schrebergärtner sein, um über Schrebergärten zu schreiben... Über Milieu und Schauplätze eines Romans informiere ich mich so weit und so tief, wie es mir als einzelner Person mit mittleren Verbindungen möglich ist."


Also sind es nur Phantasieprodukte, die Peter Schmidt, Jahrgang 1944, in seiner kleinen Dachwohnung in seinen hochmodernen Textcomputer tippt? Angefangen mit "Mehnerts Fall", der Geschichte eines DDR-Agenten, der den Vorsitzenden der Regierungspartei dieses Landes durch eine er schlüpfrige Affäre stürzen soll, bis hin zum "Fall von großer Redlichkeit", der die deutsch-deutschen Irrfahrten eines Wissenschaftlers beschreibt.


Die bescheidene Schriftstelleridylle des Peter Schmidt, das verschlafene Gelsenkirchener Angestellten- und Arbeiterviertel, in dem er lebt, stehen in auffälligem Widerspruch zu der Atmosphäre internationaler Geheimdienstintrigen und brutaler Gewaltaktionen in seinen Romanen. Gewiss, vordergründig schreibt Peter Schmidt, ehemals Werbefachmann in der Möbelbranche, reine Handlungsromane: Krimis und Thriller, die sich von den Verlagen leicht unter dem Motto "Entspannung durch Spannung" vermarkten lassen.

Doch unter der Oberfläche zeigt sich ein sorgfältig geknüpftes Netz von aktuellen Bezügen, behutsam extrapolierten politischen Entwicklungen und psychologischen Studien.


Ganz augenfällig ist diese Vielschichtigkeit in dem Roman "Augenschein", der Geschichte eines Verhörspezialisten aus dem deutschen Geheimdienst, der die politische Wirkung eines ausgewiesenen polnischen Dissidenten auf die deutsche Innenpolitik abschätzen soll. Das Psychodrama der beiden unterschiedlichen Charaktere, verdichtet auf lange Verhörsitzungen in einem Haus an der Berliner Mauer offenbart unter seiner Handlungsoberfläche eine, wie der Autor es selbst gerne nennt, "erkenntnistheoretische Dimension", ausgehend von der Frage, wie ein politischer Mord zustande kommen könnte.

Wie reagiert ein Mensch mit einer ganz bestimmten Persönlichkeitsstruktur im Spannungsfeld politischer und gesellschaftlicher Anforderungen und Zwänge? Auf diese Ausgangsposition lassen sich beinahe alle Romane des Thriller-Spezialisten zurückführen. Seine Protagonisten - gegen die Bezeichnung 'Helden' sperren sich die Hauptfiguren - geraten in einen Entscheidungskonflikt zwischen der Treue zu einer Sache und der zu sich selbst. Dass sie meist nur Schachfiguren in einem Spiel sind, dessen Regeln sie nicht durchschauen, wird ihnen erst klar, wenn sie ihre Entscheidung getroffen haben.


Sein Verständnis von Literatur hat Peter Schmidt an angelsächsischen Vorbildern geschult. Literatur soll, so sein Postulat, "so unterhaltend wie möglich sein". Deshalb auch benutzt er für seine Gedankenspiele das zwar von vielen Lesern geschätzte, aber von vielen Kritikern etwas herablassend betrachtete Genre des Agententhrillers und Kriminalromans. "Im Grunde genommen" hat er "den vermessenen Anspruch, zu sehen, ob man im Kriminalgenre nicht genauso gute Literatur produzieren kann wie in den anderen Bereichen der Belletristik".


Erst mit 33 Jahren, 1978 also, entdeckte Peter Schmidt seine Neigung zu dieser Art von Literatur und zum Schreiben. Also hängte er seinen Job in der Werbebranche an den Nagel, reduzierte seinen Lebensstandard und beschloss, jetzt "einfach einmal ein Jahr lang" das zu tun, was ihn interessiert. Über eine Sonderprüfung des Zweiten Bildungsweges holte er die Hochschulreife nach und schrieb sich als Student der Germanistik, der Philosophie und der Geschichte an der Bochumer Universität ein.

Damit begann eine jener "zweiten Karrieren", die aber hierzulande immer noch mit dem exotischen Ruch des "Aussteigers" behaftet sind. Der stille Pragmatismus, mit dem er sein neues Leben in Angriff nahm, hat jedoch nichts von "alternativem Leben" oder einer Abkehr von traditionellen Werten an sich.

 Neben dem Studium begann er zu schreiben, zunächst in der Gelsenkirchener Literaturwerkstatt. Dann veröffentlichte er einige Erzählungen und wissenschaftliche Aufsätze und debütierte 1981 schließlich mit "Mehnerts Fall".


Ein Jahr später folgte "Die Trophäe", wieder ein Jahr darauf "Augenschein" und ganz fix hinterher ein Ausflug ins Genre des parodistischen Privatdetektivromans: "Eiszeit für Maulhelden". 1984 dann beschloss er, seinem "Stammverlag" Ullstein den Rücken zu kehren und veröffentlicht seitdem bei Rowohlt. "Die Regeln der Gewalt" erschienen als erster Titel in Rowohlts Thriller-Schwarz, "Ein Fall von großer Redlichkeit" ist seit Januar auf dem Markt, "Erfindergeist" für Juni angezeigt.

Mit diesen sechs Titeln hat sich Schmidt nicht nur bei der Kritik, sondern auch bei der Leserschaft gut etabliert. Sie mag seine Unterhaltung mit Tiefgang, die das Vorbild großer Erzähler wie Graham Greene und John le Carré nicht verleugnet. Dem Vorwurf, dass er vielleicht etwas fix produziere, begegnet er mit einer klaren Rechnung. Als freier Schriftsteller, der sich nicht auf die regelmäßigen Lohn- oder Gehaltszahlungen eines Brotberufes verlassen erst kann, ist er auf die Einkünfte seines Schreibens angewiesen. Produktionsdruck empfindet er nicht. Entscheidend ist die Lust am Schreiben: "Eine sehr angenehme Unterhaltung, die interessanteste, die ich kenne!" -- Reinhard Jahn

Reinhard Jahn: Thriller mit Tiefgang
Erschienen in
Rheinischer Merkur/Christ und Welt
11. Mai 1985 (20/1985)



Erschienen in
Rheinischer Merkur/Christ und Welt
11. Mai 1985 (20/1985)