22.8.13

Die Mordsberatung auf WDR5
Factsheet Krimiland Italien



Die Mordsberatung auf WDR5
Factsheet Krimiland Italien

1. Was wir so italienisch nennen:

Da ist zuerst einmal Donna Leon (*1942): Eine Amerikanerin in Venedig, die Anfang der neuziger Jahre damit begann, Kriminalromane um einen venezianischen Kommissar zu schreiben: Commissario Brunetti.
Der erste Titel war "Venezianisches Finale" (Death a La Fenise)
Der aktuelle Roman (EDIT: im Jahr 2012) "Tierische Profite" ist Brunettis 21. Fall
Das Besondere an Donna Leons Romanen: Die gebürtige Ameirkanerin schreibt auf Englisch, und sie legt Wert darauf, dass ihre Bücher *nicht* auf italienisch erscheinen.


Donna Leon Leser lieben das Figurenensemble, das sie geschaffen hat:
Commissario Guido Brunetti
Seine Frau Paola, Tochter des Conte Falier
Seine Kinder Raffaele ("Raffi") und Chiara
Seine Vorgesetzter, der inkompetente Vice-Questore Patta
Dessen Sekretärin, die überaus kompetente Signora Elettra
Sein Kollege, der loyale Sergente Vianello

Bislang sind im deutschen Fernsehen seit 2000 19 Verfilmungen zu sehen gewesen (meist 2 pro Jahr), Brunetti wurde zuerst von Joachim Krol, dann von Uwe Kokisch gespielt.
Es gibt zudem mindestens 11 Hörspieladaptionen der ARD von Brunetti-Krimis, mit verschiedenen Brunetti-Sprechern


Auch der Amerikaner Edward Sklepowich lässt seine Roman mit seinem Helden Urbino Macintyre in Venedig spielen.
Exclusive Interview with Edward Sklepowich auf italian-mysteries.com





Veit Heinichen (*1957) ist ein deutscher Autor, der in der norditalienischen Hafen- und Großstadt Triest lebt. Die Stadt ist Schauplatz seiner Romane um den Commissario Proteo Laurenti.
Heinichen sagt: »Ich empfinde den Kriminalroman als adäquates Mittel, um unsere Gesellschaft abzubilden.«
Bislang sind knapp neun Laurenti-Krimis erschienen.


 
Fünf Laurenti-Krimis wurden verfilmt, der Kommissar wurde von Henry Hübchen gespielt. Die Verfilmungen wurden wegen Erfolglosigkeit engestellt.
Commissario Laurenti bei Wikipedia

Sowie die britische Sicht auf Italien:
Der Brite Michael Dibdin (1947 – 2007) erfand den in Venedig geborenen und in Rom wohnenden Commissario Aurelio Zen. Seine Kenntnisse über Italien eignete sich Dibdin während der fünf Jahre an, die er an der Universität Perugia englischsprachige Literatur lehrte.


 
Es gibt 11 Aurelio Zen Romane, drei WDR-Hörspieladaptionen:
1995 Der Rattenkönig
2006 Sizilianisches Finale.
2006 Im Zeichen der Medusa.
Eine englische Fernsehreihe mit 3 Episoden


Die gebürtige Britin Magdalen Nabb (1947 bis 2007) erfand den Maresciallo Guarnaccia, der in Florenz ermittelt. Sie pflegte einer langjährige Brieffreundschaft mit Georges Simenon, der die Einleitung zu ihrem dritten Roman verfasste.
Es gibt insgesamt 14 Maresciallo Guarnaccia-Romane.


2. Was echter italienischer Krimi ist:

Die Krimi wird in Italien eigentlich nur "Il Giallo" genannt, was eine Abkürzung sein soll von "I libri gialli". Das heißt "die gelben Bücher". Denn gelb sind die Umschläge der seit 1929 im Mondadori-Verlag erscheinenden erfolgreichen Krimis.
Also: Il Giallo / vielleicht: die Gelbe Reihe
Ein großer Eindruck von "Il Giallo" hier:
Google-Bildersuche "Il Giallo"




Einen sehr guten Eindruck über die "italienische" Krimiszene gibt dieses Feature der BBC:



Der derzeit wohl bekannteste italienische Krimi-Autor ist:

Andrea Camilleri (*1925), Drehbuchautor und Fernsehregisseur:
Sein Serienheld ist Commissario Montalbano. Er arbeitet in der fiktiven Stadt Vigàta in Sizilien. Der erste Montalbano-Roman erschien 1994 (deutsch 1999). Montalbano hat seinen Namen als Reminiszenz an den spansichen Autor Manuel Vazquez Montalban (1939 - 2003), Autor einer Reihe von erfolgreichen Krimis um den Ermittler Pepe Carvalho schrieb.
Bisher sind mehr als 20 Romane erschienen, die meisten davon wurden ins Deutsche übersetzt.




Sehr bekannt und beliebt ist auch
Gianrico Carofiglio (*1961) Er arbeitete in seiner Heimatstadt Bari jahrelang als Richter und Antimafia-Staatsanwalt.
Hauptfigur einiger seiner Bücher ist der junge Verteidiger Guido Guerrieri.
Reise in die Nacht, 2002
In freiem Fall, 2006
Das Gesetz der Ehre, 2007
In ihrer dunkelsten Stunde, 2011

Carlo Lucarelli (*1960) gehört zu jüngeren Generation der italienischen Krimi-Autoren. Er ist und war unter anderem auch Moderator einer erfolgreichen Fernsehsendung über ungelöste Kriminalfälle, Journalist, Dozent für kreatives Schreiben und Drehbuchautor.
Einer seiner Serienhelden ist Comissario De Luca

Massimo Carlotto (*1956) ist der italienische Krimi-Autor mit dem aufregendsten Leben: er wurde wegen des Mordes an ener Studentin angeklagt, unter zweifelhaften Umständne verurteilt, floh und verbrachte 5 Jahre auf der Flucht, ehe er wieder gefasst und nach Italien zuerückgebracht wurde. Nach 11 Prozessenund insgesamt 6 Jahren im Gefängnis begann er sein "zweites Leben" als Schriftsteller.

Klassische italienische Krimi-Autoren sind:
Leonardo Sciascia (1921-1989) , sizilianischer Autor, der seinen ganz eigenen erzählerischen Stil pflegte. Er schrieb "Mafia"-Romane im engeren Sinn, in denen er das Zusammenspiel von Staat, Polizei und Verbrechen thematisierte. Sein bekanntestes Werk ist wohl "Der Tag der Eule", 1968 verfilmt von Damiano Damiani mit Franco Nero und Claudia Cardinale. Sciascias umfangreiches Werk voller Kriminalgeschichten hat einen völlig eigenen Stil und wenig gemeinsam mit den üblichen Krimis.

Carlo Fruttero (1926-2012) und Franco Lucentini (1920 – 2000) waren ein erfolgreiches und bekanntes Autorenteam, die mit "Die Sonntagsfrau" und "Wie weit ist die Nacht" den Krimi als Gesellschaftsroman schrieben.
"Die Sonntagsfrau" erzählt von einem Mordfall in der Turiner Gesellschaft.























19.8.13

MARABO, Bochum, Heft 11/1980
Report: Linke Buchläden im Revier
...UND DIE IM DUNKELN SIEHT MAN NICHT
oder: DIE WÜSTE LEBT




Nach der Bilanz des Börsenvereins des deutschen Buchhandels haben die 2267 Buchverlage hierzulande im vergangenen Jahr 62 082 neue Titel auf den Markt gebracht und damit ihre Produktion gegenüber dem Vorjahr um 16.8 % gesteigert. Die Anzahl der lieferbaren Buchtitel schwankt zwischen 237 000 und 245 000, das sind runde zwölf Regalkilometer, wenn man pro Buch nur eine Rückenbreite von fünf Zentimetern rechnet.

Umgeschlagen wird ein Großteil davon auf dem jährlichen Literaturtrubel der Buchmesse in Frankfurt, kanalisiert wird die Titelflut in den mehr als sechseinhalbtausend Buchhandlungen zwischen Flensburg und Freilassing.

Neben den Bestseller-Bunkern der KaufhausKonzerne gibt es die renommierten und alteingesessenen Sortimentsbuchhandlungen und seit einigen Jahren auch 'alternative' oder 'politische' Buchläden, die mittlerweile aus den Dunstkreisen der Universitäten heraus in die Innenstädte vorgedrungen sind.

Gibt es hier außer einem anderen Buch-Verständnis auch ein anderes Lese- und Literaturverständnis?

MARABO-Mitarbeiter Reinhard Jahn ging dieser Frage nach.

Aus den Lautsprechern plätschert James Last, nach dem Vorbild amerikanischer Gücksspielpaläste gibt es hier keine Fenster, durch die tristes Tageslicht hereinfallen könnte, und keine Uhren.
Vom Eingang her klingt das dezente Rattern der elektronischen Registrierkassen herüber, und hin und wieder das schrille Läuten der Alarmglocke, wenn jemand beim Hinausgehen wieder mal die magnetische Verriegmmg an den Kassen gelöst hat, anstatt die fotozellengesteuerte Sperrschranke zu benutzen.
Bücher werden hier verkauft, in dem 'Hören und Lesen'-Spezialhaus eines Kaufhauskonzerns. Offene Displays, das sind brusthohe Verkaufsständer, in denen Taschenbücher ausgelegt sind, und daneben die sogenannte Frontpräsentation der Neuerscheinungen und der gutgehenden Reihen. Genau wie in meinen Supermarkt findet sich aus verkaufspsychologischen Gründen alles, was mich in teressiert im hin teren Ladenbereich: Neuerscheinungen, aktuelle Bücher und natürlich neben den beiden Ramschtischen mit den preisreduzierten Remmittenden auch die obligatorische Bestseller-Palette.

Hinten deshalb, weil man auf dem Weg dorthin erst einen Slalom durch die anderen Präsentationen des Hauses absolvieren muß: billige Schallplatten, Sonderangebote in Ständern plaziert oder zu Stapeln aufgetürmt brechen und steuern den Käuferstrom, laden zum Stöbern und Anschauen ein. Buchhandel 1980.

Fünfhundert Meter weiter ist die größte Sortimentsbuchhandlung der Stadt, die fünftgrößte der Bundesrepublik. Fachliteratur, nach Gebieten geordnet an den Regalwänden links vom Eingang, rechts die Belletristik und die Kinderbücher, dazwischen Auslagen mit thematisch zusammengestellter Literatur.
Und, monumental wie der Bug eines Schlachtschiffs, schräg gegenüber dem Eingang die Drehständer mit den Taschenbuchreihen.

Der kleine Tisch mit den Spiegel-Bestsellern ist zur Seite geräumt, ein paar hektische Hausfrauen stehen bei den Sonderausgaben und Kalendern, die sie gar nicht interessieren und lassen ihre Blikke unauffällig hinüberwandern zu dem Tisch, wo ein kleiner, frischfrisierter Herr im Maßanzug hinter einem Blumengesteck und einem Stapel eigener Werke sitzt, den Kugelschreiber signierbereit gezückt.
"Ist er das?" Natürlich, das ist er. Draußen steht es ja auf dem Plakat. Hans Rosenthal signiert eigene Werke. Zwei oder drei Buchhändler verkürzen dem Rätselspieler mit einem etwas nervös aufgekratzten small-talk die lange Weile, bis sich wieder jemand mit einem frisch erstandenen Exemplar von 'Zwei Leben in Deutschland' in die vorderste Reihe wagt.
Letzte Woche war Sepp Maier hier, Graf Lambsdorff soll demnächst auch mit einem Buch vorbeikommen. Mit Speck fängt man Mäuse.
Tausend Meter weiter, an der Peripherie der Essener City, fünf Minuten von der Universität entfernt: Eine Buchhandlung wie jede andere auch, etwas kleiner vielleicht, aber auch hier die nach Sachgruppen geordneten Bücher in den Wandregalen. Kein lautes Publikumsgedränge, sondern eine ruhige Atmosphäre, in der man blättern und stöbern kann, ohne gleich von einem auf Umsatz getrimmten Verkäufer angemacht zu werden.

"Wir möchten vor allen Dingen junge Menschen, junge Arbeiter zum Lesen anregen!" sagt Inge van Suntum, Leiterin der Karl-Liebknecht -Buchhandlung, mit der ich mich in der Ikea-Plauderecke unterhalte. "Und zumeist sind es junge, ansprechbare Leute, die zum Beispiel über eine Gewerkschaftsschulung an das Buch herangeführt worden sind." Daß der Arbeiterführer nicht umsonst Namenspatron des Geschäftes ist, kommt auch immer wieder zum Ausdruck, wenn von den Veranstaltungen die Rede ist, die von und mit der Buchhandlung durchgeführt werden. Lesungen sind es zumeist, mit anschließenden Diskussionen, Namen wie Max von der Grün, Herbert Somplatzki und Wifried Bienek fallen in diesem Zusammenhang. "Für uns ist eine Lesung erfolgreich", sagt Inge van Suntum, "wenn wir unter den Besuchern neue Gesichter sehen. Und wenn wir die Lesungen konzipieren, achten wir darauf, daß wir jedesmal eine andere Zielgruppe ansprechen." Zwölf Veranstaltungen sind es, die in der Regel im Jahr durchgeführt werden.
Zielgruppen sollen auch durch die Schwerpunktbildung im Sortiment des Buchladens angesprochen werden. Man konzentriert sich hier, genau wie bei 'Buch international' in Dortmund auf Bereiche wie Friedens- und Abrüstungspolitik, auf die Gewerkschaftsbewegung und auf antifaschistische Literatur.
"Wir arbeiten", sagt Herman Daldrup von 'Buch international', "oft mit Autoren aus dem Schriftstellerverband in der IG Druck und Papier zusammen, wenn wir Veranstaltungen machen. Außerdem haben wir eine Ecke mit Arbeiten Dortmunder Autoren eingerichtet." Als Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer und demokratischer Buchhändler und Verleger stehen beide Buchhandlungen in enger Verbindung mit dem Essener Brückenverlag, einem Grossisten in Sachen DDR-Literatur. Dementsprechend gut ist man in beiden Läden auch in Titeln aus dem anderen Deutschland sortiert.

Gut sortiert ist man auch einen Katzensprung entfernt, wo der Bundschuh, das Zeichen aufständischer Bauernbünde im 16. Jahrhundert den Namen für einen Buchladen abgibt. Der Laden wird von ein paar Leuten geführt, die sich selbst als 'undogmatisch links' einordnen.
Bei einer Tasse Kaffee. mit spielenden Kindern im Rücken, spreche ich mit Jale Özyurt und Reiner Schiefler. Der 'Bundschuh' beruft sich, geDaU wie ich es später auch von Klaus Elsner vom 'Politischen Buchladen' in Bochum zu hören bekommen werde, auf die Studentenbewegung in deren Verlauf auch viele kleine linke Verlage gegründet wurden.

"Im linken Buchhandel fehlen also grundsätzlich die Bestseller! " sagt Jale Özyurt. "Dafür haben wir auch im Gegensatz zum bürgerlichen Buchhandel das Sortiment in Bereiche gegliedert, zum Beispiel in den Internationalismusbereich, den Ökologiebereich, Frauenbewegung, Arbeiter-und Gewerkschaftsbewegung und so weiter." Insgesamt hat man sich sowohl in Essen als auch in Bochum auf Texte konzentriert, die für die gegenwärtige politische Diskussion wichtig sind, denn von ihrer Konzeption her verstehen sich beide Buchläden als ein Forum für die Kommunikation der unterschiedlichsten politischen Gruppen, zu denen in der Regel auch personelle Verflechtungen bestehen. Willi Lemmert vom Buchladen 'Trotz alledem ' in Gelsenkirchen-Schalke fasst das Selbstverständnis solcher politischer Buchhandlungen in drei Punkten zusammen: Hier steht man erstens hinter allen Texten, die verkauft werden, zum Zweiten sollen in der Führung der Läden andere Arbeitsformen als die bisher übliche Aufgabenverteilung praktiziert werden und zum Dritten schließlich möchte man über den Verkauf von Büchern hinaus ins Gespräch oder in die politische Diskussion kommen.
Veranstaltungen, Lesungen, erklärt Reiner Schiefler vom 'Bundschuh', können von allen Mitarbeitern vorgeschlagen werden, die Diskussion im Plenum entscheidet, ob zu dem betreffenden Autor Kontakt aufgenommen wird. In besonderen Fällen, wie beispielsweise der P.P. Zahl-Lesung im September, schließt man sich dann auch mit anderen Veranstaltern zusammen, um die Kosten decken zu können. Wunschgast von Reiner Schiefler: Ex-Kommunarde Fritz Teufel.

Der Buchhändler, heißt es in den "Blättern zur Berufskunde" vom Arbeitsamt, "ist bemüht, dem Bedarf seiner Kunden an Lektüre gerecht zu werden, indem er Bücher anbietet, die in ihr Interessengebiet fallen." Und neben dem jeweiligen Inhalt eines Buches ist bei den vielen Schülern und Studenten unter den Kunden auch der Preis interessant, der sich im vergangenen Jahr bei einem Durchschnitt von 23,62 DM pro Buch eingependelt hat.
Demnach kosten die drei Bücher, die sich der statistische Bundesbürger pro Jahr kauft, runde 70 Mark. Da wundert es niemanden, wenn lieber zum. Taschenbuch für 3,80 DM anstatt zum 38-Marks-Hardcover greift. Aber was den Leser freut, schlägt sich in der Kalkulation des Buchhändlers nicht immer positiv nieder: Taschenbücher bringen - eben wegen ihres geringen Preises - kaum Gewinn, so daß das Geschäft mit den Paperbacks nur dann wirklich lohnenswert wird, wenn man es wie die Kaufhaus-Spezialhäuser im großen Stil betreibt. Deshalb ist es auch kein Wunder, wenn man in kleinen Buchläden neben einem breiten Titelspektrum aus Klein- und Kleinstverlagen und den üblichen Hardcovers aus den etablierten Verlagshäusern nur ein rigoros beschnittenes Taschenbuchprogramm findet. Dieser Mangel ist aber letztlich kein Nachteil, denn Titel, die nicht vorrätig sind, können jederzeit mit einer Lieferfrist von einem Tag vom Barsortimenter beschafft werden.
Der Service verursacht zwar auch einige Kosten, aber der gute Name einer Buchhandlung kommt nicht zuletzt auch durch die Leistungen zustande, die man auf diesem Gebiet erbringt.
"Da muß man eben auch manchmal bei einem Vokabelheftchen für 2,80 DM in Kauf nehmen, daß unterm Strich nichts mehr für uns übrig bleibt." Das sagt Friedhelm Eggers, mit dem ich im Büro der Heinrich-Heine Buchhandlung in Essen spreche, weil vorn in dem kleinen gemütlichen und in warmen Farben eingerichteten Laden eine Menge Kundschaft ist.
Neben dem normalen Buchgeschäft -Sortimentsschwerpunkte sind progressive und aktuelle Belletristik und Bücher zur Frauenbewegung - betreiben die drei Mitarbeiter hier ein gutes Stückehen Literatur- und Kulturpolitik, wenn sie mit zwei oder drei Lesungen oder Veranstaltungen pro Monat das Gespräch über literarische und politische Probleme in Essen am Leben erhalten. Peter Bichsel, Ingeborg Drewitz, Erich Fried, Ulrich Plenzdorf und andere haben hier gelesen und diskutiert, für diesen Monat ist Peter Brückner angekündigt.

Solche Veranstaltungen, bei denen sich Leser und Autor nicht nur über den hingekritzelten Namenszug auf dem Titelblatt kennenlernen, müssen von jeder Buchhandlung selbst organisiert werden, weil sich die Kultursachbearbeiter in der fünftgrößten Stadt dieses Landes in dieser Beziehung vornehm zurückhalten, oder sich darauf beschränken, als Geste des guten Willens in einigen Fällen einen Raum zur Verfügung zu stellen. Auch in Mülheim möchte man derartige Veranstaltungen in Angriff nehmen, wie mir Erich Hahn vom kaum ein Jahr alten, 'Büchergarten' am Telefon sagt. Kontakte sind schon geknüpft, spruchreif ist allerdings noch nichts.
Entgegen allen Unkenrufen lebt die literarisch-kulturelle Wüste im Ruhrgebiet also doch ein bißehen. Daß so wenig davon bemerkt wird, liegt wohl daran, daß umsatz trächtige Signierstunden und pblicitymäßiges Herumzeigen von Starautoren nicht zum Stil der 'anderen' Buchläden gehören.
Hier steht noch das Gespräch im Vordergrund, der Kontakt mit dem Autor. Literatur live und zum Anfassen sozusagen, ein Vorhaben, das eine ganze Menge Initiative erfordert, die sich in der Regel kaum beim Buchverkauf nach der Lesung in der Ladenkasse niederschlägt.

Aber daß es solche Veranstaltungen gibt, und daß sie besucht werden, beweist schließlich, daß es noch Leute gibt, die unter Büchern und Buchhandlungen noch ein bißchen mehr verstehen als diebstahlsgesicherte Frontpräsentationen, garniert mit verkaufsfördender Musikuntermalung.

Alle Adressen sind auf dem Stand 1980!
Bundschuh, Stoppenberger Str. 13-15,43 Essen 1,
Heinrich Heine Buchhandlung Viehhofer Platz 8, 43 Essen 1
Trotz alle dem, Grillostr. 41 46 Gelsenkirchen.
Karl Liebknecht Buchhandlung, Viehofer Platz 43 Essen 1,
Politischer Buchladen, Im Westenfeld 22, 463 Bochum,
Buch International, Königswall 22, 46 Dortmund,
Büchergarten, Hagdorn 3, 433 Mülheim,

 

Quelle:
MARABO, Bochum, Heft 11/1980
Reinhard Jahn: Report: Linke Buchläden im Revier ...UND DIE IM DUNKELN SIEHT MAN NICHT oder: DIE WÜSTE LEBT



14.8.13

Die zweite Karriere des Peter Schmidt
Ruhr-Nachrichten 12.12.1981




Die zweite Karriere des Peter Schmidt - Der Gelsenkirchener Peter Schmidt wollte einfach einmal ein Jahr lang nur das tun, was ihn interessierte. Er ließ einen gutbezahlten und sicheren Job in der Werbebranche zurück und begann zu schreiben: Spionageromane.

Dreiunddreißig Jahre war er alt, als  er seinen Job in der Möbelwerbung  an den Nagel hängte. um sich endlich   mit den Dingen zu beschäftigen, die ihn von jeher interessierten: Literatur, Philosophie und Schreiben. Aber trotzdem ist das gängige Klischee vom Aussteiger aus den Leistungszwängen der Gesellschaft nicht so einfach auf Peter Schmidt anzuwenden. Denn was den mittlerweile 37jährigen Gelsenkirchener ,in Deutschland zum Exoten macht, ist in Amerika gang  und gäbe: daß gestandene Männer in der Mitte ihres Lebens etwas Neues anfangen.
Er ist überhaupt eine normale Erscheinung, ebenso unaufdringlich unauffällig wie sein Name: ein Durchschnittsbürger, der die Lederjacke nicht angezogen hat, um jünger zu wirken,' sondern einfach weil sie zu ihm paßt.
"Irgendwann ist mir das tägliche Einerlei in der Werbung auf die Nerven gegangen!" sagt er zu seinem Ausstieg. Nachdem man den Arbeitsplatz seines Kollegen wegrationalisiert hatte, und er dieWerbeabteilung der Möbelfirma, bei der er beschäftigt war, ganz allein betreute, schien der Höhepunkt der Karriereleiter erreicht: "In dem Job hätte ich 80 Jahre alt werden können," sagt er.
Trotzdem, - oder vielleicht deshalb :- machte er einen'neuen Anfang. "Ich habe mir gesagt: jetzt tust du' einfach einmal ein Jahr lang das, was dich interessiert!" formuliert er heute, vier Jahre später, das Motto, unter dem er sich von seinem Arbeitgeber trennte, die Sicherheit des festen Einkommens hinter sich ließ und seinen Lebensstandard herunterschraubte.
"Von dem Geld, das mich das Autofahren gekostet hat, hätte ich ein Jahr lang auf den Bahamas leben können!" .
Mit einer wissenschaftlichen Arbeit über den "Wahrheits begriff in . der Dichtung" wurde. er zu einer Sonderprüfung des zweiten Bildungsweges zugelassen. erlangte seine Hochschulreife und begann im vergangenen Jahr an der Bochumer Ruhr-Universität mit seinem Studium in den Fächern Literaturwissenschaft und Philosophie.
Bei einer solchen Fächer- und Interessenkombination liegt der Schritt zum Erzähler ganz am Wege. Doch es war nicht die 'schöngeistige' Literatur, der sich Peter Schmidt zuwandte, sondern jener Grenzbereich, der gern als "Spannungs- und Unterhaltungsschreiberei" abgetan wird. Sein erster Roman, eine Kriminalgroteske, schlummert nach etliche Irrfahrten durch die Verlagslektorate wieder in der Schublade. Dafür war bereits dem zweiten Projekt Erfolg beschieden: "Mehnerts Fall" heißt der Polit-. Thriller im Geiste der englisch-unter'kühlten Spionagegeschichten John le Carres oder Graham Greenes, der im Frühjahr in der Krimi-Reihe des Frankfurter Ullstein-Verlages erschien.
Peter Schmidt erzählt darin die Geschichte des DDR-Agenten Iven, der als Führungsoffizier der transsexuellen Agentin Hanne darauf angesetzt wird, den Vorsitzenden der bundesdeutschen Regierungspartei durch eine schlüpfrige Affäre zu kompromittieren und zu stürzen. damit der Ostblock bei den bevorstehenden AbrÜstungsverhandlungen Vorteile gewinnt.

Trotz aller Anklänge an spektakuläre Spionagefälle wie Eugen Runge oder Günther Guillaume besteht Peter Schmidt darauf. daß es sich bei der Geschichte "nicht um einen Schlüsselroman handelt." Auch wenn die Kritik zu Recht dem Erstling bescheinigte; er sei an manchen Stellen ein wenig "überkonstruiert", hat "Mehnerts Fall" seinem. Autor den Einstieg in ein Genre verschafft, das bislang von englischen Namen beherrscht wurde.

Der erste Erfolg hat Peter Schmidt augenscheinlich motiviert. Als Junggeselle hat er genügend Zeit, auch neben seinem Studium seine schriftstellerische Arbeit intensiv weiterzuführen: Ein zweiter Thriller - Arbeitstitel "Die Trophäe" - liegt bereits zur Veröffentlichung beim Verlag und auch das dritte Manuskript "Augenschein" geht seiner Vollendung entgegen...
Seine zweite Karriere hat Peter Schmidt mit jenem stillen Pragmatismus vorangetrieben, der kennzeichnend für ihn ist. Es scheint nur natürlich für den Werbefachmann, dessen dunkte Augen hinter der dünnrandigen Brille stets ein wenig distanziert wirken. daß er mit einem Spionageroman debütiert hat, während Hunderte von jungen Autoren sich darum bemÜhen. mit einem Lyrikband oder Erzählungen Fuß zu fassen. Illusionen macht er sich deshalb noch lang nicht: "Ich glaube kaum, daß ich von meiner Schriftstellerei einmal werde leben können!" sagt er.
Deshalb möchte er gern im Bereich Literaturkritik arbeiten, auch "so etwas in Richtung Essay" schwebt ihm vor. "Aber erstmal". sagt er, "Wird das Studium fertiggemacht."
Reinhard Jahn

Zur Person:
Peter Schmidt, geboren 1944 in Gescher, Kreis Coesfeld, Hauptschule und anschließend Berufsausbildung zum Dekorateur. Bis 1977 ist er in verschiedenen Firmen in der Möbelwerbung tätig, dann beschließt er, das zu tun, was ihn von jeher interessiert.
Er beginnt neben seiner Beschäftigung mit der Literaturtheorie zu schreiben, veröffentlicht Erzählungen in Zeitungen und AnthoIlogien, wird Mitglied in den Literaturwerkstätten Gelsenkirchen und Essen. Seit 1981 studiert er Literaturwissenschaft, Philosophie und Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum.
1979: Förderpreis der Stadt Gelsenkirchen, 1981 Arbeitsstipendium des Landes NRW für den Roman "Die Trophäe" literarische Arbeitsgebiete sind: Erzählungen, Romane (Thriller, Satire), Literaturtheorie.
Bücher: Mehnerts Fall, Ullstein Krimi 10121.
Foto: Andreas Böttcher


Quelle: Ruhr-Nachrichten/Essener Tageblatt 12.12.1981

7.8.13

Sebastian Fitzek
Der Nachtwandler




Leon Nader traut sich selbst nicht mehr - gerade ist er mit seiner Frau in eine wunderbar tolle und seltsam billige Altbauwohnung gezogen, als er Hinweise darauf findet, dass er im Schlaf wandelt. Er ist einmal deswegen therapiert worden und glaubt deshalb jetzt auch, die Sache allein in den Griff zu bekommen. 
Um herauszufinden, was er als Schlafwandler unternimmt, beobachtet er sich selbst mit einem computergesteuerten Kamara-Headset. Doch was er am nächsten Tag in  der Aufzeichnung sieht, schockiert ihn: offenbar gibt es in seinem Schlafzimmer eine geheime Tür, durch die er in der Nacht in weitere geheime Innenräume des Hauses geschlüpft ist. Räume, die es gar nicht geben dürfte. Und in denen offenbar Dinge geschehen, die man sich nicht vorstellen kann...

Sebastian Fitzek beweist wieder einmal  dass er ein Meister der Spannungsmache ist, der König des Cliffhangers. Wenn man erst einmal die Prämisse der Geschichte akzeptiert hat - dass es bei einem Schlafwandler ein komplett "zweites Leben" in der Nacht gibt, an das er sich im Wachzustand nicht erinnert, dann reißt einen das Buch mit wie ein Strudel, dem man nicht entkommen kann. Effekt folgt auf Effekt, Wendung auf Wendung und doch gibt es am Ende ein glaubwürdige Aufklärung. 
Und natürlich - man liest Fitzek nicht, weil man einen exquisiten literarischen Stil erwartet. Der wäre bei der Spannung, die das Buch entwickelt, auch eher kontrapodutkiiv.

Glaube nichts, traue niemand - am wenigsten dir selbst. Fitzek in Höchstform.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung


Sebastian Fitzek
Der Nachtwandler
Knaur



6.8.13

Andrea Sawatzki
Ein allzu braves Mädchen

Das beeindruckende Roman-Debüt einer Schauspielerin. Ein kleines Buch mit einer großen erzählerischen Kraft.

Der Mann, 71 Jahre, liegt nackt und tot im Schlaftzimmer seiner Villa. Ermordet. Tatwerkzeug ist eine scharfkantige Waffe.
 
In einem Waldstück wird ein Mädchen, eine junge Frau aufgegriffen. Sie ist verwirrt, kann sich nicht erinnern, wie sie in den Wald gekommen ist. Sie trägt ein grünes Pailettenkleid.
Wie beide Dinge miteinander zusammenhängen ahnen wir als geübte Leser von Kriminalgeschichten natürlich.
Langsam Stück für Stück, wird die Geschichte der jungen Frau und des alten Mannes erzählt - in ausführlichen Gesprächen mit einer Psychiaterin berichtet das "allzu brave Mädchen".

Ans Licht kommt eine bedrückende Lebensgeschichte - die Geschichte von Manuela Scriba, dem Mädchen, das für ihren dementen Großvater verantwortlich ist, bei dem sie aufwächst. Alleingelassen von der Mutter und oft auch hilflos und von der Situation überfordert gerät Manuela immer tiefer in eine Traumatisierung, die dann später, viel später in mörderischer Gewalt endet.
Ein kurzer, knapp erzählter Roman, womöglich eine Theater- oder Filmvorlage, der in seiner konzentrierten Form vollends überzeugt.

So spannend und so gut wie Andrea Sawatzki kann derzeit kaum jemand erzählen.
Reinhard Jahn, WDR5 Mordsberatung

 Andrea Sawatzki
Ein allzu braves Mädchen
Piper


5.8.13

William Ryan
Die Informantin



Russland 1937. Der Terror, den Lenins und Stalins Revolution übers Land gebracht hat, sät überall Misstrauen, Zweifel, Angst. Auch bei Hauptmann Alexej Koroljow von der Moskauer Kriminalmiliz, der bereits in seinem letzten Fall mit der Geheimpolizei aneinandergeraten ist.
Jetzt trifft es ihn wieder - als man ihn abholt, glaubt er schon, das sei die gefürchtete Verhaftung als Staatsfeind. 
Aber es ist ein Auftrag: er soll für einen mächtigen Parteibonzen in die Gegend von Odessa reisen, wo auf einen ehemaligen Gut ein revolutionärer Spielfilm gedreht wird. Und eine der Darstellerin tot aufgefunden wurde, scheinbar erhängt.  Selbstmord oder Mord?
Die Ausgangssituation macht schon kalr, dass man keinen beinharten Russland-Thriller wie "Kind 44" oder "Stadt der Diebe" erwarten sollte. 
Willam Ryans Schwerpunkt liegt auf der Beschreibung der allgegenwärtigen Bedrohung, der Spitzeltums und des Misstrauens, das die Beziehungen der Menschen - des Filmteams, der Ermittler, alle Beteiligten, zerfrisst.
Niemand im Team will mit der Toten zu tun gehabt haben - aus Angst, mit in deren Geschäfte hineingezogen zu werden - die von Waffenschmuggel bis Hochverrat reichen.
Zusammen mit den Ermittlungsschritten des sympathischen Kommissar Koroljow zeichnet William Ryan in manchen Figuren die Portrait damaliger Filmschaffender - allen voran Sergej Eisenstein, dessen verschollener Film "Beshinwiese" die Vorlage zu dem Film liefert, der im Roman gedreht wird.
Und auch das Revolutionsprojekt eines russischen Hollywood - "Kinograd" - findet Erwähnung

Ein klassischer Krimi vor der Kulisse der russischen Oktoberevolution. Spannend, dicht erzählt, gekonnt in die Zeitgeschichte eingearbeitet.
Reinhard Jahn WDR5 Mordsberatung

William Ryan    
Die Informantin
Heyne



Klein, aber oho - BFBS in Köln
MARABO, Bochum, Heft 12/1981



Klein, aber oho - BFBS in Köln

Wie ein Programm einer lokalen Rundfunk-Station aussehen kann, zeigt das Beispiel des englischen Soldatensenders B FBS. Ohne großen Aufwand machen eine handvoll Leute für eine klar umrissene Zielgruppe Programm.

Von Reinhard Jahn und Peter Krauskopf


Wenn wir unsere Leser nicht hätten. Da schrieb uns Klaus Weber, der eifrigsten einer, unter dem Titel 'Musikalischer Rundfunkkompass für progressive Randgruppen' unter anderem über eine Musiksendung des britischen Militärsenders BFBS: "John Peel setzt mit seiner 'music' die vielen Leuten sicherlich noch bekannten BFBS-Sendungen 'Saturday Show' und 'Rock today' fort.
Er kreiert harten Punk, gemischt mit einigen Reggae-Neuerscheinungen. Besonders zu empfehlen für Punks und solche, die es werden wollen.
Neben soeben erschienen englischen Scheiben dreht John auch deutschsprachige Platten unabhängiger Labels".

BFBS, der British Forces Broadcasting Service hat sich mit seinem modern aufgemachten bunten Programm einen Platz neben dem öffentlich-rech tlichen für Nordrhein-Westfalen zuständigen Westdeutschen Rundfunk erobert, den er seiner Konzeption nach eigentlich gar nicht beansprucht.
"Wir machen ein Betreuungsprogramm für die in der Bundesrepublik stationierten englischen Soldaten und ihre Angehörigen!" sagt BFBS-Chef Dick Norton ganz entschieden. "Wenn das Programm von Deutschen gehört wird, dann freut uns das natürlich, aber wir richten uns nicht an sie." Und tatsächlich sind Sendungen wie 'Forces Motoring Magazine', aktuelle Nachrichten übernahmen von der BBC, Endlos-Serials wie 'The Archers' oder Magazine wie 'BFBS-UK' kaum dazu angetan einen des Englischen mächtigen deutschen Hörer dazu zu bewegen, seinen Radioapparat ständig auf den 96,6 Megahertz im UKW-Bereich eingestellt zu lassen.

Was dagegen viele dazu bewegt, den Senderwahlknopf hin und wieder ein wenig weg vom WDR nach links zu drehen und sich auf die Welle des Rundfunkzwerges in der Kölner Lindenallee einzupegeln, ist die Hoffnung auf ein Musikprogramm, das sich in seiner Form und seinem Inhalt wohltuend von dem beschaulichen Klangteppich unterscheidet. der vom Funkhaus am Appellhofplatz ausgebreitet wird.
Da moderiert Alan Bangs im 'NightfIight' mit Intellekt, Feeling und reichlich Fachwissen, John Peel macht seine 'Music', es gibt Interpreten und Gruppenportraits und Zu sammenstellungen von Dauerbrenner wie etwa unter dem Titel 'They sold a million'.
Da laufen im Vormittagsprogramm aktuelle Hits zwischen den belanglosen Telefonplaudereien mit kindergeplagten Hausfrauen, und da präsentiert Tommy Vance allsamstäglich 'Top Twenty Plus' mit einer lässigen Souvernität, gegen die deutsche Plattenplauderer vom Schlage ei• nes Günter Krenz wie die Ge• stalter eines Altersheimsrundfunks erscheinen.

Daß BFBS besonders von vielen jungen Leuten als willkommene Alernative zum WDR Programm angesehen und auch benutzt wird, erscheint gar nicht so seltsam, wenn man weiß, für wen die ungefähr 65 Mitarbeitet in den beiden Villengebäuden am Stadtrand Kölns ihr Programm machen. "Unsere 'policy' ist 'popular radio'" sagt Dick Norton. "Radio und Fernsehen für die in der Bundesrepublik stationierten britischen Soldaten und ihre Angehörigen." Insgesamt sind es circa 180.000 Zuhörer, die der Sender in den Garnisonstädten Nord- und Westdeutschlands und in Berlin betreut. Allein für die und für niemand anders werden 24 Stunden Rundfunk und acht Stunden Fernsehen pro Tag ausgestrahlt, denn der Programmauftrag lautet: Betreuung, Truppenbetreuung.

Siebzig Prozent dieser Soldaten sind unter 30 Jahre alt, viele davon zwischen 18 und 21. Und, so Norton weiter: "Viele unserer Hörer sind Frauen. Sie leben hier in einem fremden Land mit einer fremden Sprache. Und wenn die Männer nach Nordirland abkommandiert werden, sind sie oft ganz allein!"
Um sie kümmern sich die Entertainer an den BFBS-Mikrofonen, für sie wird das Programm gemacht, das mit dem einer britischen 'local station' vergleichbar ist wobei der fehlende regionale Zusammenhang durch die mehr oder minder enge Verbindung aller Angesprochenen zur Armee ersetzt wird.
"Unsere Hörer haben einen special contact zu ihrem Sender", sagt Programmdirektor Richard Astbury dazu, der sich vor einigen Jahren durch seine Telefonplaudereien am Vormittag als 'Mann mit dem losen Mundwerk' profilierte. Zu dem speziellen Kontakt gehören die regelmäßigen Auftritte der Programm-Macher in englischen Clubs und bei Frauenvereinen ebenso wie die Regelung, daß jederman jederzeit beim Sender anrufen kann, um Grüße oder Plattenwünsche abzugeben. Aber auch jene spezielle Art, bei jeder Ansage den einzelnen Hörer anzusprechen trägt zu dem unverkennbaren station sound bei. Richard Astbury "Bei einem deutschen Sender fängt der Moderator mit "Meine Damen und Herren' an. Wir sprechen immer nur zu einer Person, ganz direkt. Dabei hilft•uns aber auch die englische Sprache, bei der man nicht zwischen 'du' und 'Sie' unterscheidet."
Eine Höreransprache, wie man sie in unserer Region vielleicht nur noch beim Südwestfunk findet, den Astbury dementsprechend auch als 'friendly station' klassifiziert. Nicht Moderation (lat.: Mäßigung, Milde) am Mikrofon, sondern Persönlichkeit.
Und das nicht nir bei der Höreransprache sondern auch bei der Musikauswahl und Präsentation: Jeden Dienstag trifft sich Richard Astbury mit seinen Disc-Jockey-Kollegen, um die neu eingegangenen Platten abzuhören und darüber zu entscheiden, ob sie ins Programm genommen wer den. "Da wird dann richtig abgestimmt", erklärt er.

"Wenn zwei dafür sind und drei dagegen, fliegt die Plate raus. Ist es umgekehrt, bleibt sie drin." Keine 'Musikfarben' also, wie sie anderswo von Musikgestaltern zusammengestellt werden, sondern persönliche Entscheidungen. Die die BFBSler freilich auch nur deshalb so genau treffen können, weil sie wegen ihres Programmauftrages genau wissen, für wen sie ihre Sendungen machen.
Außerdem kann in dem kleinen Kreis der Programmgestalter schneller und problemloser entschieden werden als in einem aufgeblähten Redaktionsapparat, in dem Kompetenzen abgesteckt und Verantwortlichkeiten aufgeteilt sind.
"Wir sind insgesamt nur 65 Leute", sagt Dick Norton. "Und da ist alles drin, vom Disc-Jockey bis zu den Putzfrauen und Fahrern." Bei BFBS wird das Radio noch mit der Hand gemacht, jeder muß alles können und alles machen. Die beiden Villen, in denen der Sender und seine Verwaltung untergebracht sind; wirken klein und verwinkelt, aber überschaubar. Die Arbeitsatmosphäre ist routiniert gelassen, der Umgangston freundlich. Das riesige Plattenarchiv liegt eine Etage unter dem im gemütlich englischen Stil eingerichteten Chefbüro, im Garten steht ein kleiner Sendernast und der recht beschränkte Bewegungsraum, in den Studios und Tonträgerräumen scheint niemand etwas auszumachen. Wer jemals eine deutsche Anstalt von innen gesehen hat, wundert sich bei BFBS über die vielen offenen Türen, und den beinahe familiären Umgangston hinter dem man den militärischen Hintergrund der Station beinahe vergessen könnte.
Sechzig Prozent des Rundfunkprogramms werden in der Kölner Zentrale und den Außenstudios in Berlin und Bielefeld produziert, die restlichen vierzig Prozent, meist :topical programms' wie 'Forces Motoring Magazine', 'BFBS UK' oder 'Top Twenty Plus' werden durch Übernahmen von der BBC oder mit Produktionen des 'Head Office' des Militärrundfunks in London bestritten.
Aktuelle Nachrichtensendungen können per Direktschaltung über verschiedene Relaisstationen in Frankreich direkt übernommen werden, Hörspiele werden wie in alten Dampfradiozeiten von der BBC noch als Schallplattenmitschnitt geliefert.

Gänzlich aus der Heimat stammt das von BFBS ausgestrahlte Fernsehprogramm, das über verschiedene kleine Sender in die Garnisonsstädte verteilt wird. Die acht Programmstunden täglich werden mit Sendungen der BBC und des kommerziellen englischen Fernsehnetzes ITV bestritten, aus denen man freilich zuerst die leidigen Commercials, die Werbespots, herausschneiden muß. Eigenen Fernsehsendungen werden zur Zeit wegen finanzieller und technischer Probleme noch nicht produziert. Dafür steht eine erfreuliche Erweiterung des Rundfunkprogramms ins Haus. Ab 4. Januar soll nach Mitternacht anstatt einer Wiederholung von Sendungen des vergangenen Tages eine zweistündige Live-Sendung ausgestrahlt werden. "Ein Live-Programm, bei dem die Leute dann auch anrufen können!" kündigt Norton an.
"That are hot news!" kommentiert Richard Astbury sofort. "You are the first to bring that story."
Wenn ein Sender mit einem derartig kleine Personalbestand ein so erfolgreiches Zielgruppen-Programm gestalten kann, dann liegt es daran, daß hier Spezialisten am Werk sind, All-round-Entertainer, die sich auch nicht zu fein ihre Platten selbst aufzulegeen und zwischendurch (auch) mal den Wetterbericht oder einen Spendenaufruf zu verlesen.
Und weil solche Multi-Talente nicht vom Himmel fallen, werden sie von BFBS in einem speziellen 'trainee-system' ausgebildet.

"Die Leute müssen hier nieht nur als Disc-Jockeys arbeiten", sagt Richard Norton dazu, der selbst früher beim englischsprachigen Programm von RTL tätig war. "Sie müssen auch Nachrichten lesen, was sehr schwierig ist, und während der laufenden Sendung auch noch die Telefonanrufe entgegennehmen. Und daß wir unsere Leute recht gut ausbilden, merken wir spätestens dann, wenn sie nach einiger Zeit lukrative Angebote von kommerziellen britischen Stationen bekommen und uns dann verlassen."

So profitiert auch der WDR von der BFBS-Schule, wenn Alan Bangs 'Lupenrock' oder den Rockpalast präsentiert. Engere Beziehungen zwischen den Engländern und den Deutschen gibt es nicht.
Eine Übernahme von Rundfunksendungen kommt schon aus sprachlichen Gründen kaum in Frage, zudem stehen hier rechtliche Schwierigkeiten im Weg. "und mit den deutschen Fernsehanstalten können wir leider nicht zusammenarbeiten, weil sie andere technische 'standards' haben!" erklärt Norton. Der unterschiedliche Frequenzabstand zwischen Bild und Ton ist auch der Grund, warum sich von ARD und ZDF gelangweilte Zuschauer in der Umgebung der Garnisonen nicht einfach auf die britischen Wellen schwingen können. "You can get the picture, but you can't get the sound without a Zusatzgerät', sagt Norton. Und fügt hinzu: "Which, I want to tell you that, costs about twenty-five Marks." Einfacher ist es da schon für den Radiohörer, der nur ein wenig an der Skala zu drehen braucht, um sein akustisches Fenster zu englischen Enklave in der Bundesrepublik aufzustoßen. Daß viele deutsche Stammhörer der BFBS-Musiksendungen sind, freut die Verantwortlichen natürlich, aber es ist für sie kein Grund von ihrer Programmpolitik abzuweichen. Dem englischen Verteidigungsministerium unterstellt ist der Sender einzig und allein für die Truppenbetreuung zuständig. Deshalb werden auch im laufenden Programm keine Anrufe deutscher Hörer ausgestrahlt.
"Unterhaltung, Information und, klein geschrieben, auch Ausbildung der englischen Truppen ist unser Aufgabenbereieh", stellt Richard Norton noch einmal fest. "Wenn zu viele Deutsch anrufen, würden unsere Leute meckern, weil dann kein Platz für sie da ist." Niemand kann allerdings die Deutschen daran hindern, BFBS zu hören und das Programm gut zu finden. Nur können die Leute beim BFBS' nichts dafür.


Quelle:
MARBAO, Bochum. Heft 12/1981

2.8.13

Interview mit Susanne Mischke


Interview SUSANNE MISCHKE
FRAGE Die meisten Ihrer Krimis spielen abseits der Metropolen oder auf dem Land. Ist das Ihr Tribut an den Regionalkrimi - oder ist das Landleben gefährlicher?

MISCHKE: Meine beiden Krimis mit Kommissar „Romero„ spielen in Frankfurt, mein neuer Roman „Liebeslänglich„ wird in Hannover spielen -

?? Wir sprachen von Großstädten...

!! ...doch, das IST eine Großstadt. Ich schiele nicht nach Labels wie „Regional- oder Großstadtkrimi„, ich wähle den Schauplatz, der zur Geschichte passt.

?? Von dem eleganten Kommissar Vincent Romero und seiner Kollegin Antonie Bennigsen haben wir nach ihren beiden Auftritten in "Schwarz ist die Nacht" und "Die Mörder, die ich rief" nichts mehr gehört. Im Gegensatz zu anderen erfolgreichen Autorinnen und Autoren schreiben Sie keine Serie.

!! Aber meist reizt es mich mehr, die Welt ganz neu zu erfinden. Ich bin wohl nicht der Serientyp.

??Aber gerade Romero und Antonie hätten sich als Mann und Frau
doch perfekt in das Thema eingefügt, um das sich eigentlich alle Ihre Romane drehen: Dass Männer und Frauen irgendwie nicht richtig zusammenpassen. Dass der eine sucht, was der andere nicht hat oer der eine nicht hergibt, was der andere möchte.

!!Stellen Sie sich vor, es wäre nicht so. Diese Harmonie wäre ja unerträglich und führte erst recht zu Mord und Totschlag.

?? Nach der Theorie des sogenannten "Frauenkrimis" gibt es gute Männer und schlechte Männer. Die einen taugen als Seelenfreund und Kaffeeholer, die anderen als Mordopfer. Oder ist das jetzt doch zu krass ausgedrückt?

!! Das kann ich so nicht bestätigen. Sie taugen zuweilen auch als Mörder. Es rafft in meinen Romanen übrigens nicht nur Männer dahin, die Sterberate Mann-Frau hält sich sogar ziemlich die Waage. Und es gibt nicht einen wirklich bewiesenen Gattenmord ...

?? Dann muss man wohldie beiden Drehbücher die Sie mit Iris Anna Otto für die Macho-Crash-Serie "Alarm für Cobra 11" eher als Satiren denn als Krimis sehen?

!! Dass wir einem jugendorientierten Privatsender für seine Actionserie eine Episode untergejubelt haben, die in einem Altenheim spielt, darauf bilden wir - meine Co-Schreiberin Iris Anna Otto und ich - uns heute noch was ein.

?? Sie waren einmal auf der Suche nach dem "politisch korrekten Mordopfer":
- es durfte weder ein Tier ("tierfeindlich"), noch ein Kind ("kinderfeindlich") weder Blondine ("frauenfeindlich") noch Schwuler ("männerfeindlich") sein, weil sonst immer ein Teil der Leser protestiert. Sind Sie inzwischen auf das perfekt-korrekte Opfer gestoßen?

!! Nein. Inzwischen sch.... - verzichte ich auf political correctness.

?? Sie geben auch Seminare für angehende Krimi-Autoren, denen Sie beibringen, wie man "spannend bis zur letzten Seite" schreibt. Damit züchten Sie sich doch die eigene Konkurrenz heran.

??Wahres Talent wird sich so oder so irgendwann durchsetzen. Wenn man sich davor fürchtet, sollte man einen anderen Beruf wählen. Betriebswirschaftler oder Berufsjäger oder so.

!! Waidmannsdank für das Gespräch.



Mehr über Susanne Mischke:
http://krimilexikon.de/mischke.htm