16.7.13

Ist die Geschichte ein Thema in der deutschsprachigen Kriminalliteratur?
Interview mit Reinhard Jahn vom Bochumer Krimi-Archiv



Ist die Geschichte ein Thema in der deutschsprachigen Kriminalliteratur?
Interview mit Reinhard Jahn vom Bochumer Krimi-Archiv

FRAGE: Was kennzeichnet denn einen historischen Kriminalroman?

Dass er eine Kriminalgeschichte in einer früheren Zeit erzählt - also Lebensumstände, Ideologie etc der gewählten Zeit gut darstellt. In dieses Ambiente kann man entweder einen traditionellen Kriminalfall ansiedeln - also einen Mord und dessen Aufklärung - oder man versucht sich auf dem Königsweg und erzählt von einem Verbrechen, wie es so nur in der gewählten Epoche geschehen und aufgeklärt werden konnte.

FRAGE: Passt das denn zusammen – das moderne Genre und eine weit entfernte erzählte Zeit, etwa das Mittelalter?

Es ist natürlich eine besondere Herausforderung, wenn die Kriminalgeschichte und der Fall in einer Zeit angesiedelt sind, in der es unser aktuelles Rechtssystem und auch die grundlegenden Ermittlungsmethoden der Kriminalistik noch nicht gab. Ein wenig muss man dann als Autor wahrscheinlich doch seine Phantasie spielen lassen und "analoge" Ermittlungsmethoden erfinden, um die für eine Ermittlung nötigen "Spuren" zu erhalten. Kurios wirkt es immer dann, wenn Mittelalterdetektive plötzlich CSI-ähnliche Praktiken anwenden.
Besser ist es, wenn eine Kriminalgeschichte an das Rechtsempfinden etc der gewählten Zeit angepasst wird - auch wenn es schwierig wird, zu erzählen, dass jemand wegen "Zauberei" oder "Gotteslästerung" oder "Häresie" überführt werden soll.

FRAGE: Welche sind für Sie die herausragenden Autoren dieses Bereichs im Genre?

Zunächst einmal Philip Kerr - sowohl mit seinen "Berlin Noir"-Romanen um den Privatdetektiv Bernie Gunther, der im Berlin des III. Reiches und im Nachkriegsdeutschland seine Aufträge erledigt. Aber auch Kerrs historische Variante "Newtons Schatten" ist ausgezeichnet.
Im deutschen Bereich sind es Volker Kutscher mit seiner Gereon Rath-Serie und Cay Rademacher mit seinen in Hamburg angesiedelten Nachkriegskrimis, für die einmal der Gattungsbegriff "Trümmerkrimis" geprägt worden ist. Beide Autoren verstehen es ausgezeichnet, die jeweilige Zeit fühl- und spürbar zum Leben zu erwecken.


FRAGE: Welche Rolle spielt die Geschichte des 20. Jahrhunderts, also die Zeitgeschichte?
Es ist wohl schon zum Ausdruck gekommen, dass sie eine große Rolle spielt.
Es gibt in diesem Bereich der Zeitgeschichte noch viele "graue Flecken" mit bislang noch nicht genau erklärten oder erforschten oder in Vergessenheit geratenen Ereignissen.
- etwa das Kennedy-Attentat - an das sich viele Verschwörungstheorien knüpfen lassen.
Unter anderem ist etwa auch die Phase des politischen Terrorismus (RAF) in der BRD ein interessantes Thema, das sicher in den nächsten Jahren verstärkt ins Zentrum von "zeitgeschichtlichen" Kriminalromanen treten wird.
Auch der ganze Komplex der Wiedervereinigung im Zusammenhang mit den Aktivitäten des MfS (der "Stasi") in der DDR wird noch zum Thema werden. Schon jetzt sind etwa verschiedenen Thriller im Umlauf die sich auf die Vorkommnisse um die sogenannten "Rosenholz-Dateien" beziehen. Das sind 381 CDs, angeblich mit den Klarnamen von Agenten der Hauptverwaltung Aufklärung HVA des MfS im westlichen Ausland, die im Prozess der Wiedervereinigung verschwanden und schließlich beim CIA wieder auftauchten.


FRAGE: Wie arbeiten Autoren, die die Geschichte im Krimi aufarbeiten? Wissenschaftlich? Oder ist die Historie nur eine Kulisse für gute Geschichten?

Das kommt immer darauf an, um welchen Autor es sich handelt und wie er seinen ganz persönlichen Zugang zu seinem historischen Stoff gestaltet..
Ich schätze, zu 60 bis 70 Prozent nutzen sie die Zeit als Kulisse. Für einen klassischen Ermittlerkrimi muss man keine Geschichte aufarbeiten. Aber für einen Polit-Thriller schon.


FRAGE: Eine Phase, die oft Thema ist: Die Weimarer Republik. Können Sie ein Beispiel nennen? Hier wäre sicher zuerst der bereits erwähnte Volker Kutscher zu nennen...

Ja, unbedingt. Volker Kutscher Gereon-Rath Reihe ist einzigartig im deutschen Sprachraum - sowohl was sie Anlage als Romanreihe angeht als auch die Tiefe und Ausführlichkeit ihrer Darstellung Berliner Geschichte. Gereon Rath ist ein Kommissar aus Köln, der in der Weimarer Zeit nach Berlin versetzt wird. Das Leben in der Stadt, die politischen und gesellschaftlichen Zustände werden bunt, dicht und prächtig geschildert.
Ein weiteres Projekt, das ebenfalls in dieser Zeit angesiedelt ist, ist die Romanreihe "Es geschah in Berlin", jeweils ergänzt um die Zahl des Jahres, in der der Roman spielt. Die Romanreihe wird von verschiedenen Autoren geschrieben und geht auf eine Idee des Berliner Krimiautors Borst Bosetzky zurück, der auch selbst mit zahlreichen Romanen in der Reihe vertreten ist. Im Mittelpunkt der Reihe steht der Kriminalbeamte Kappe, dessen Karriere wir von den zwanziger Jahren bis in die Nachkriegszeit verfolgen können. Dadurch, dass verschiedene Autoren an der Reihe mitwirken, werden unterschiedliche Schwerpunkte in der Geschichtsdarstellung gesetzt - was zu einem sehr breiten Spektrum führt.

FRAGE: Neben den Autoren, die schwerpunktmäßig historische Krimis schreiben, gibt es aktuell auch einige, die nach aktuellen Krimis sich un auch historischen Stoffen zugewandt haben - wie etwa Mechthild Borrmann. Kann man sagen, dass es einen Trend zu zeitgeschichtlichen Themen in der deutschsprachigen Kriminalliteratur gibt?

Ja, unbedingt. Neben Mechtild Borrmann ist auch Andrea Maria Schenkel zu nennen. TANNÖD und FINSTERAU und KALTEIS handeln mehr oder minder authentische historische Stoffe ab.
Ähnlich geht ROBERT BRACK in der Klara Schindler-Reihe in die Vergangenheit zurück und erzählt Hamburger Geschichten mit deutlichem Zeitbezug aus den zwanziger Jahren.
Außerdem findet sich eine kleine Häufung von Ruhrgebietsromamen aus den 60er-Jahren - wie etwa BLÜTENTRÄUME von Christiane Dieckerhoff, die historischen Revier-Romanen von Peter Kersken und KOHLENSTAUB von Anne Kathrin Koppetsch.


FRAGE: Welche Rolle spielt die NS-Zeit als Thema?
Für ausländische Autoren - vornehmlich GB und US-Autoren ist diese Zeit eine immer gern genommene Kulisse, wenn es um den "Ursprung" des Bösen geht.

FRAGE: Haben Sie eine Erklärung, dass so viele zeitgenössische Krimiautoren sich ausgerechnet dieser zeitgeschichtlichen Phase zuwenden, die man in der Literatur doch schon „abgearbeitet" wähnte …

Kriminalliteratur nimmt als Genre Literatur stets Strömungen der Höhenkamm-Literatur bzw der allgemeinen Belletristik auf. Das können stilistische als auch inhaltliche Motive sein.

FRAGE: Inwieweit eignet sich denn Ihrer Ansicht nach das Genre, um Zeitgeschichtliches zu erzählen? Passt das überhaupt zusammen?

Ja. Krimi ist wie ein Cocktail. Gemeinsam ist allen Cocktails: der Alkohol als Treibstoff (die Kriminalhandlung), unterschiedlich ist die Mischung mit anderen Flüssigkeiten (Liebe, Zeitgeschichte, Abenteuer etc)