15.4.12

Factsheet: Krimi-Boom in Deutschland


Factsheet zur TMB in Sundern / 28.4.2012
Version. 1.2 20.4.2012

Der Krimi-Boom

Zuerst einmal: Die Zahlen bitte!
Derzeit erscheinen jedes Jahr mehr als 1400 neue Kriminalromane. Davon sind etwa
400 neue deutschsprachige Titel
800 bis 1000 neue ausländische Romane, also ins deutsche übersetzte Titel

Diese Zahlen sind Schätzungen, in denen verschiedene Marktbeobachtungen und Zahlen aus verschiedenenen Quellen zusammengeführt wurden.

Wie sieht er genau aus?:
Im Bereich BELLETRISTIK des Buchmarktes ist im Jahr 2011 das Segment SPANNUNG mit 27,9 Prozent  das zweitgrößte hinter dem Segment ERZÄHLENDE LITERATUR  mit 49,2 Prozent. Weit abgeschlagen istSCIENCE FICTION/FANTASY mit 7,4 Prozent am gesamten Belletristikmarkt.
Der Bereich SPANNUNG umfasst sowohl die "klassischen Kriminalromane" als auch die "Thriller" welcher Spielart auch immer (Medizin, Spionage etc).
Bestverkaufter belletristischer Titel 2011 war "Zwei an einem Tag" von David Nicholls  (Kein Krimi), dann folgten Jussi Adler-Olsens Topseller "Erlösung" und "Erbarmen" (dtv).
Quelle: BranchenMonitor Buch
http://www.boersenverein.de/de/portal/Januar_2012/470672
http://www.boersenblatt.net/468325/template/bb_tpl_branchenmonitor/

Wie hat der Krimi-Boom begonnen?
Ende der 60er Jahre hatte sich der Buch- und damit auch der Krimi-Markt in Deutschland konsolidiert. Die meist familiengengeführten großen Verlage (Bertelsmann, Rowohlt, S. Fischer, Kurt Desch. Wilhelm Heyne. Wilhelm Goldmann etc) bedienten den Unterhaltungsmarkt mit Taschenbüchern  bzw Genre-Literatur in Taschenbuch-Reihen. So hatte jeder große Verlag, der etwas auf sich hielt, eine "Krimi-Reihe", in der die meist dünnen (180 - 250 Seiten) standardisierten US- und GB-Krimis erschienen. (Und was aus dem Original längenmäßig nicht passte, wurde "passend gemacht".)
-Goldmanns "Rote Krimis" (Renner: Edgar Wallace)
-Heyne "Krimi" bzw "Kriminal—Thriller", später "Blaue Krimis" = harte US-Ware
-Ullstein "Gelbe Krimis" = traditionelle GB-Unterhaltung
-Scherz "Schwarze Krimis" traditonelle GB-Ware (Renner: Agatha Christie)
-Rowohlt "rororo-thriller" = die innovative Krimi.-Reihe mit zeitgenössicher Kriminalliteratur der siebziger aus dem Rowohlt Verlag. Hier erschienen auch die ersten "echten" deutschen Krimis, aus denen später der "Sozio-Krimi" hervorging.

Die Krimireihen erschienen im monatlichen Rhythmus mit festgelegter Titelzahl (meist 3 pro Monat), so kam man auf etwa 200 neue Krimis im Jahr.

In den achtziger Jahren beeinflussten zwei Dinge den Krimi-Markt:
- EINS Auflösung generell aller Taschenbuchreihen zugunsten der jeweils "Allgemeinen" Reihe der Taschenbuchverlage. Abschaffung des Labels "Krimi / Kiminalroman". Jetzt: "Roman" oder "Thriller". Während früher nur als Krimi gezählt wurde, wo "Kriminalroman" draufstand, bzw wenn er in einer Krimireihe erschien, war jetzt eine "freie Zuordnung" zum Genre möglich.

- ZWEI Beginn der "Regional-Krimis" deutscher Autoren mit den Schwerpunkten Ruhrgebiet / Köln / Eifel

Nach etwas mehr als 20 Jahren boomt der Krimi jetzt als mit den erwähnten Veröffentlichunsgzahlen. Der beginnende E-Book-Markt wird den Boom noch einmal etwas beflügeln.

Kritische Beobachter der Szene sehen den Krimi allerdings bereits auf seinem Scheitelpunkt bzw im Abschwung. 
Warum?
-nachwachsende Leserschichten können neue Genres wählen, die ebenfalls "im Boom" sind: Fantasy, historische Romane, Chicklit ("Freche Frauen", heitere Frauenromane, Liebesromane.)
-das Krimi-Genre ist derzeit erst einmal auserzählt. Er hat eine neue Untergattung geschaffen - den "Serienmörder-Roman", der nach bestimmten Gesetzen ("Regeln") funktioniert und ihn in zahllosen Variationen erzählt. Dazu hat sich der Krimi auf der Suche nach Originalität in Crossover mit allen anderen Genres begegeben - besonders ergiebig sind die Vermischungen mit dem Liebesroman ("Mystery Romance") und dem Vampir- Grusel- Horror-Roman ("Mystery-Thriller", Jim Butcher: Harry Dresden-Romane). Crossover mit Science Fiction und Comedy runden den Markt ab, in dem derzeit nur der Thriller (schildert eher Action als Geheimnisauflösung, ist gern wissenschaftlich, bzw SF-grundiert) seine Position behaupten kann

Das der Krimi-Boom im Abschwung ist, heißt nicht, dass es bald keine Krimis mehr geben wird. Sondern nur dass sich die Produktion auf ein gesundes Maß zusammenschrumpfen wird.

9.4.12

Marek Krajewksi: Finsternis in Breslau.


Endlich eine Wiederbegenung mit Kriminalrat Eberhard Mock, dem Polizisten, den Marek Krajkewski bisher in sechs Kriminalromanen im Breslau der dreißiger Jahre hat ermitteln lassen. Mock ist der Antityp- zum perfekten. glatten Ermittler aktueller Romane: er isst gern viel und fettig, er ist unbeherrscht, impulsiv, er pflegt enge Kontakte zum organisierten Verbrechen in der deutschen Stadt Breslau. Er trinkt, er betrügt ohne schlechtes Gewissen seine Frau.
Trotzdem: Man mag ihn. Eben weil er so bunt und schillernd ist.

Jetzt ist Eberhard Mock inzwischen Mitglied der Deutschen Abwehr - aber da sit für den aktuellen Fall nicht so sehr von Bedeutung.
1938 - ein Mädchen wird in Breslau brutal ermordet. Das halbe Gesicht weggebissen, wie es scheint. Das Mädchen kam mit dem Zug aus Lemberg, wie Mock schnell herausfindet.

Mit seiner Serie um Eberhard Mock hat Marek Krajewski die Renaissance des "polnischen Krimis" eingeläutet, derzeit gibt es Polen einen "Krimi.-Boom", bei dme nicht wenige Autoren genau wie Krajewski ihr Romane in de Zwischenkriegszeit ansiedeln.
Siehe dazu diesen Beitrag beim Goethe-Institut
Robert Ostaszewski
Krimi-Boom in Polen
http://www.goethe.de/ins/pl/lp/kul/dup/lit/kri/de5373443.htm


Marek Krajewksi:
Finsternis in Breslau.
dtv

8.4.12

Hanns-Peter Karr: Wer mit dem Leben der anderen spielt


H.P. Karr:
Wer mit dem Leben der anderen spielt
DAS NEUE BLATT 19/75


"Drittes Dezernat, Lippmann!", meldete sich der Kommissar und schaltete routinemäßig das Tonbandgerät ein. "Hallo!", rief er, als sich niemand meldete und trank einen Schluck Kaffee. Es war Montagmorgen, und Lippmann war eben erst ziemlich unausgeschlafen ins Büro gekommen.
"Er ist tot!", sagte eine Frauenstimme. "Er ist tot!"
"Wer ist tot?", fragte der Kommissar plötzlich hellwach. "Wie heißen Sie?"
"Mein Name ist Rieser, Grete Rieser, ich putze bei Herrn Krüger, dem Fernsehreporter. Mein Gott, er liegt tot in seinem Haus in der Schillerstraße."
Abrupt brach die Stimme ab. Kommissar Lippmann hörte nur noch den schweren Atem der Anruferin. Im Hintergrund schlug dumpf und dröhnend eine alte Uhr. Zehnmal. Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Lippmann warf den Hörer auf die Gabel und schaltete das Tonband aus.
"Ziehen Sie den Mantel nicht aus!", rief er seinem Assistenten Paulsen zu, der gerade das Büro betrat. "Wir haben Arbeit!"
Eine Viertelstunde später stoppte der Wagen der Mordkommission vor dem modernen Bungalow. Eine ältere Frau wies den Beamten den Weg. Lutz Krüger lag in dem unordentlich aussehenden Wohnzimmer. Er war erschossen worden. Das Wohnzimmer erinnerte an ein Trümmerfeld. Überall auf den modernen Möbeln standen leere Teller herum, die von einem Büfett stammten, das neben der Terrassentür aufgebaut war. Leere und halbvolle Gläser vervollständigten das Bild.
"Sonntags feierte er!", sagte Grete Rieser von der Tür her. "Ich konnte konnte dann montags immer die Reste wegräumen!"
Der Kommissar erfuhr von der Frau, dass sie einen Haustürschlüssel hatte und gekommen war, um sauberzumachen. "Normalerweise war Herr Krüger dann immer schon fort!" erzählte sie stockend. "Zuerst dachte ich, er schliefe nur seinen Rausch aus, doch dann sah ich das Blut ... "
"Der große Lutz Krüger!", sagte Kriminalassistent Paulsen. "Ich weiß, es gehört sich nicht, aber ich sage trotzdem, dass er ein mieser Kerl war! Wenn ich daran denke, wie er seine Reportagen aufgezogen hat. Zum Beispiel, die mit dem Rauschgiftsüchtigen in der letzten Sendung. Wie er ihn immer mehr in die Enge trieb. Der Junge hat ja nach der Sendung Selbstmord begangen."
"Dann wird Krüger wohl auch im privaten Leben genug Feinde gehabt haben!", brummte Lippmann. Auf der Straße stoppte gerade ein Wagen. Der Fahrer drehte das Seitenfenster herunter und fragte: "Was ist denn hier los?"
"Ein Mordfall!", knurrte Assistent Paulsen. "Fahren Sie weiter. Wir werden den Kerl schon schnappen!"
Doch der Mann stellte den Motor ab und stieg aus. "Ich bin Horst Jung!", stellte er sich vor. "Ich wollte Lutz abholen. Ich bin sein Kameramann. Wir wollten ein paar Aufnahmen machen."
Der Kommissar klärte Jung über Krügers Tod auf und fragte ihn nach der Party in der vergangenen Nacht.
"Ich war auch eingeladen", sagte Jung. "Zuerst war's ganz amüsant. Wir hatten achtzehn Mädchen vom Fernsehballett da, doch die mussten gegen zehn Uhr gehen und zu ein paar Aufnahmen nach Tunis fliegen. Dann waren wir nur noch vier Mann, Krüger, Peter Grote - das ist unser Produzent - Klaus Fein, der Ansager, und natürlich ich. Wir tranken so herum und redeten, bis Lutz auf einmal sagte, er werde seine nächste Reportage über interne Angelegenheiten in der Fernsehanstalt drehen. Und Sie kennen ja seine Reportagen. Ich sage Ihnen, Herr Kommissar, wenn Lutz das alles auf seine Art angeboten hätte, wir hätten die Anstalt schließen können!"
"Das heißt, jeder hätte etwas zu befürchten gehabt?"
Jung nickte. "Klaus Fein zum Beispiel - Frauengeschichten. Ein Verhältnis mit einer Sängerin und Verschiedenes nebenbei. Oder Grote. Man munkelt, dass er mit Fernsehgeldern spekuliert."
"Und Sie?", fragte Lippmann unschuldig.
Jung zuckte mit den Schultern. "Ich verstand mich einigermaßen mit Lutz. Nur über seine Reportagen haben wir gestritten!"
Der Gerichtsmediziner teilte Kommissar Lippmann vertraulich mit, dass Lutz Krüger zwischen Mitternacht und ein Uhr erschossen worden sei.





H.P. Karr:
Wer mit dem Leben der anderen spielt
DAS NEUE BLATT 19/75

Horst Jung fuhr fort: "Krüger, Fein und Grote hatten später eine heftige Auseinandersetzung. Plötzlich wechselte Lutz das Thema. Er sagte, es sei alles nur ein Scherz gewesen, machte eine Flasche Whisky auf, und bald waren wir alle so betrunken, dass wir kaum noch auf den Beinen stehen konnten."
Peter Grote lag noch im Bett. Die Nachricht von Krügers Tod ließ ihn äußerlich vollkommen kalt. "Stimmt!", sagte er. "Wir haben gesoffen, was das Zeug hielt. Ich weiß immer noch nicht, wie ich heimgekommen bin. Ich war voll wie eine Haubitze, Wie hätte ich da noch eine Waffe bedienen können?"
"Wann verließen Sie Krüger?", fragte Lippmann.
"Weiß nicht!", erwiderte Grote. "Meine Uhr war stehengeblieben, und Lutz hat keine in seinem Haus. Außerdem war ich betrunken. Gegen Mitternacht haben wir noch die Tagesschau zum Sendeschluss gesehen. Irgendwann danach sind wir gegangen."
*
Im Gegensatz zu Grote war Klaus Fein nichts von der nächtlichen Sauferei anzumerken. Kommissar Lippmann fand ihn in den Fernsehstudios. Als er von Krügers Tod erfuhr, veränderte sich sein Gesicht schlagartig. So geschmacklos es auch. war - er begann zu grinsen. "Haben Sie den Mörder schon, Kommissar?", fragte er. "Ich möchte ihm gratulieren. Er hat ein gutes Werk getan, als er Krüger umlegte."
"Krügers Enthüllungen hätten peinlich für Sie sein können?", fragte Lippmann.
"Peinlich?" Feins Lachen war nicht echt. "Er wollte seine Popularität heben, indem er auf meinem Rücken einen Skandal inszenierte. Aber daraus wäre nichts geworden. Lydia, das ist meine Freundin, lässt sich noch im nächsten Monat scheiden, um mich zu heiraten."
"Wann und wie kamen Sie in der Nacht nach Hause?"
"Soviel ich weiß in einem Taxi. Ja, so war es. Gegen Mitternacht bestellte Krüger ein Taxi. Er sagte, er habe noch zu arbeiten."
Kommissar Lippmann spürte, dass er sich festfuhr. Zusammen mit Paulsen klapperte er die Taxizentralen ab und machte den Fahrer ausfindig, der die drei Betrunkenen eine Viertelstunde nach Mitternacht gefahren hatte.
"Ganz schön heitere Gesellschaft!", berichtete der verschlafene Mann. "Zuerst stieg der Ansager Klaus Fein in der Akazienallee, eine Viertelstunde von der Schillerstraße entfernt, aus. Die anderen beiden ließen sich bis ans andere Ende der Stadt fahren."
Klaus Fein war der einzige, der die Möglichkeit gehabt hätte, noch in Krügers Haus zurückzukehren und den Reporter zu erschießen. Doch Lippmann brauchte Beweise, und keine Mutmaßungen. Er fuhr in die Akazienallee und klingelte in dem Haus, in dem Fein wohnte, an allen Türen. Die Auskünfte, die er erhielt, entlasteten Fein voll und ganz. Der Ansager hatte sich unmöglich aufgeführt, als er um halb eins ins Haus gekommen war. Er hatte an allen Wohnungen geklingelt und den verschlafenen Bewohnern fröhliche Ostern gewünscht. Erst um zwei Uhr hatte man ihn mit vereinten Kräften in sein Bett verfrachtet.
*
Es wurde Abend. Der Kommissar saß an seinem Schreibtisch und spulte das Tonband zurück. Dann ließ er noch einmal· den Anruf ablaufen.  "Er ist tot", hörte er Grete Riesers Stimme. "Er ist tot." Und dann: "… ich putze bei Lutz Krüger, dem Fernsehreporter … mein Gott, er liegt tot in seinem Haus in der Schillerstraße … " Es folgte nur noch das leise Rauschen und das Schlagen der alten Uhr - wahrscheinlich einer Standuhr.
Ruckartig, richtete Lippmann sich auf und spulte erneut zurück. " … er liegt tot in seinem Haus in der Schillerstraße …" Rauschen. Zehnmal schlug die Uhr. Es musste eine dieser alten Standuhren sein. Bisher hatte er angenommen, Grete Rieser habe aus Krügers Wohnung angerufen, nachdem sie die Leiche entdeckt hatte. Aber in Krügers supermodern eingerichtetem Haus gab es keine Uhren, wie Grote gesagt hatte. Und schon gar keine Standuhren. Lippmann glaubte zu wissen, von wo Grete Rieser angerufen hatte und wo die Uhr stand.
*
Grete Rieser wohnte wenige hundert Meter von der Schillerstraße entfernt in einem alten Haus. Im Wohnzimmer entdeckte Lippmann neben der Kommode, auf der das Telefon stand, eine alte Standuhr.
"Ich bin froh, dass Sie gekommen sind, Herr Kommissar!", sagte sie. "Ich wollte es Ihnen schon heute morgen am Telefon sagen, dass ich Krüger umgebracht habe. Wissen Sie, dass der Rauschgiftsüchtige, den er in seiner letzten Sendung zeigte, ein Sohn war? Krüger hat ihn vollkommen zugrunde gerichtet. Bert - mein Sohn-, er wollte aufhören mit dem Gift, aber da kam Krüger. Er bot viel Geld, und Bert sagte zu. Doch dann sah er die . Sendung und erkannte, wie entwürdigend sie war. Er hat sich das Leben genommen. In Wahrheit hat Krüger ihn umgebracht. Ich rief ihn an und sagte, ich käme um Mitternacht. Als die drei Betrunkenen weggefahren waren, ging ich zu ihm. Er lachte mich aus. Da habe ich ihn mit der Pistole, die ich Bert einmal weggenommen habe, erschossen."
ENDE

H.P. Karr:
Wer mit dem Leben der anderen spielt
DAS NEUE BLATT 19/75

Fred Breinersdorfer: Das Netz hat manchmal weite Maschen


Stadtrevue Villingen-Schwenningen
Heft 9/1983

Fred Breinersdorfer:
Das Netz hat manchmal weite Maschen,
Juli 1983  Reinbek: rororo-thriller 2642
ISBN 3499426420




Fred Breinersdorfer: Das Netz hat manchmal weite Maschen, Juli 1983  Reinbek: rororo-thriller 2642
ISBN 3499426420

Uwe Friesel: Lauenburg Connection


Stadtrevue Villingen Schwenningen
Nr 9/1983

Uwe Friesel: Lauenburg Connection, München: Heyne 2050
Enthält: Auf Anhieb Mord / Für Elise / Ein feines bürgerliches Viertel / Immer der richtige Gast für Zimmer 73 / Lauenburg Connection

Stadtrevue Villingen Schwenningen
Nr 9/1983
































Uwe Friesel:
Lauenburg Connection
Heyne

7.4.12

Olive Feuerbach: Schmutziger Mord

Ein kalter Tag in Stuttgart - als in der Straße »Im Himmel« einige Verbrechen passieren. Zuerst einmal ein Einbruch - aber dann auch auch Mord: Otto Korbach, ehemaliger Werksleiter eines großen Stuttgarter Autokonzerns in Lateinameirka, wird in seinem Häuschen brutalst gequält und getötet.
Ein Fall für Kommissarin Corinna »Coco« Conradt und ihre Männer von der Stuttgarter Kripo.

Was Coco über den Toten herausfindet, ist wenig schmeichelhaft: Die Tochter hat er verstoßen, der Sohn hasst ihn, die Ehefrau hat er, als sie psychisch leidend wurde, in ein Heim abgeschoben. Seltsam und mysteriös für Coco ist, dass Korbachs Gattin just zum Zeitpunkt des Mordes aus dem Heim entwichen ist und erst danach wieder aufgefunden wird - nicht ansprechbar. Wir Leser wissen shcon, dass dahinter jemand steckt, der offenbar auch etwas mit dem Mord an Korbach zu tun hat.

Cocos Ermittlungen  sind wenig spektakulär - auch wenn schon nach wenigen Stunden aus dem Autokonzern die diskrete Aufforderung kommt, die Sache diskret zu behandeln. Da sist man in Stuttgart gewohnt.
Der Roman lebt von der lebendigen Sprache, der lebendigen Heldin  Coco lebt mit ihrer Lebensgefährtin Judith zusammen und ist offen, neugierig, auch ein bisschen frech. Sie lässt schonmal fünfe gerade sein und ist vor allen Dingen nicht auf den Mund gefallen. Was allerdings nicht heißt, dass sie eine von diesen sprücheklopfenden Ermittlern ist.

Coco Conradt bringt einen frischen Wind in die Krimi-Szene. Quicklebendig, unkonventionell und absolut professionell. »Schmutziger Mord« ist eine Geschichte, die in die dunklen Ecken deutscher Realität beleuchtet, aber zugleich auch die düsteren Abgründe der menschliche Seele auslotet.


Olive Feuerbach: 
Schmutziger Mord
konkursbuch verlag Claudia Gehrke

Michael Wildenhain: zum Beispiel K

Leben in Berlin - Neues von K.


K. lebt in Berlin - in einem anderen Berlin, als wir es aus dem Fremdenverkehrsprospekten kennen. K. lebt in Berlin der besetzten Häuser, der Demos, der endlosen Besetzerversammlungen. Seine alltäglichen Erlebnisse, Gedanken, Bewegungen, die Motorik von Gewalt und Gegengewalt in der besetzten Stadt und den besetzten Häusern schildert Michael Wildenhains Roman »zum Beispiel K.« mit einer Dichte und Eindringlichkeit, wie sie nur aus einer unmittelbaren Betroffenheit entstehen kann. Die Angaben zum Autor am Schluß des schmalen Bändchens aus dem Berliner Rotbuch-Verlag geben nur knappe Hinweise auf die Personenidentität von K. und seinem Schöpfer Wildenhain: »geboren 1958 in Berlin, lebte in einem besetzten Haus, studiert Philosophie«.

K. wird herumgeworfen in Berlin: von der Fabrik, in der er in den Semesterferien jobbt zur Universität, dann zu den Gruppen, den AG's und den lockeren Vereinigungen, die ständig um die Revolution und für sie kämpfen aber nicht so recht voran kommen.Gemeinsam mit anderen besetzt K. ein Haus, nimmt er an den Demos teil, flippt herum, ziellos, sinnlos, getrieben von nicht erreichbaren theoretischen Ansprüchen, immer wieder scheiternd an der Realität, an diesem Berlin, das in Wildenhains Schilderung nicht ungewollt die aktualisierte Version von Kafkas 'Schloß' oder seines Gerichts aus dem Roman 'Der Prozeß' ist. Ebenso gewollt ist auch die Verkürzung des Protagonisten zum Kürzel K. - zur Chiffre der Identitätslosigkeit des allgemeinen. Auch wenn die direkten Anlehnungen an Kafka dem Roman mehr schaden als nützen, auch wenn immer wieder idealisierende Momente den dreckigen Hausbesetzeralltag überhöhen sollen, ist 'zum Beispiel K.' ein faszinierendes, lebensnahes und realistisches Buch.

Man sollte die Geschichte des Hausbesetzers K. der langsam an der nie enden wollenden und sich ständig perpetuuierenden Motorik von Aktion und Reaktion, von Gewalt und Gegengewalt, von Räumung und Demonstration, von Diskussion und Aktion zerbricht nicht vorschnell mit bürgerlicher liberalität 'als 'Roman aus der Szene für die Szene' abqualifizieren. Denn das hieße, K.'s Suche nach einem Sinn und einer Lebensberechtigung zur exotenhaften Albernheit zu degradieren. Und das ist sie wirklich nicht.  H.P. Karr


Michael Wildenhain: zum Beispiel K., Rotbuch Verlag,
Stadtrevue Villingen-Schwenningen 11/1983