21.2.12

Factsheet: Historische Romane vs. Krimis im historischen Ambiente

"Echte" Historische Romane vs. Krimis im historischen Ambiente
Factsheet von Reinhard Jahn

Was ist überhaupt ein historischer Roman, bzw ab wann spricht man von einem historischen Roman?
Autoren, die in dem Genre des "historischen Romans" arbeiten, erklären: ein historischer Roman spielt in einer Zeit, für die es keine lebenden Zeitzeugen mehr gibt. Eine andere Definition ist: Die Zeit, in der Roman spielt, muss mindestens 60 Jahre zurückliegen.

Dementsprechend wären zum Beispiel die Berlin Noir-Romane von Philip Kerr ganz knapp auch "Historische Romane". Sie erschienen ab 1995 und spielen ab den dreißigern in Berlin.

Kriminalromane,
die in einer früheren Zeit spielen, sind *nicht* historische Romane mit einer Kriminalhandlung, sondern Kriminalromane, die vor einem historischen Hintergrund spielen.
Das heißt: die Krimihandlung steht im Vordergrund, die Genreregeln müssen alle erfüllt werden.
Im Gegensatz dazu erzählen "historische Romane" in der Regel Abenteuergeschichten, Emanzipationsgeschichten und/oder Liebesgeschichten.

Und was ist dann mit "Der Name der Rose" von Umberto Eco?
Das ist sowohl ein historischer Roman als auch ein historischer Kriminalroman, weil er beide Bereiche perfekt abzudecken weiß: Die Schilderung einer früheren Zeit und ihrer ideologischen (theologischen) Fundamente in der Form eines Kriminalromans (für den er sich in der Struktur und der Ermittlerfigur an Sherlock Holmes anlehnt, einem Klassiker der Detektivliteratur)

Warum siedeln manche Autoren ihre Krimis im einer früheren Zeit an?
1. Sie erzählen eine Geschichte, die auf einem wahren historischen Ereignis beruht (etwa: Jack the Ripper, David Peace: Tokio im Jahr Null)
2. Sie möchten die Beziehungen zwischen politischen  und/oder gesellschaftlichem Umständen und dem Verbrechen, bzw dem Leben der Menschen zeigen. (Philip Kerr: Berlin Noir / Volker Kutscher: Gereon Rath / Tom Rob Smith: Kind 44 / Mo Hayder: Tokyo / David Peace: Tokio-Trilogie, etc)
3. Sie schätzen einfach die historische Umgebung und das Ambiente der gewählten Zeit als Hintergrund für ihre Kriminalgeschichten
(Anne Perry: sie siedelt ihre Krimis - Helden: Thomas Pitt, bzw William Monk - im viktorianischen England an)

Was sind die sogenannten "kontrafaktische" Romane?
Romane, die in einer Welt/Zeit spielen, die sich auf der Basis unserer Gegenwart ganz anders entwickelt hat. Die Prämisse der kontrafaktischen Geschichten ist in der Regel: "Was wäre wenn..."
-es keine Wiedervereinigung zwischen BRD und DDR gegeben hatte? ("Plan D" von Simon Urban)
- Nazideutschland den Krieg gewonnen hätte ("Vaterland" von Robert Harris)
- Deutschland im WKII die Invasion Englands gelingt und GB ein SS-Staats wird? (Len Deighton: SS-GB)
- Das Attentat vom 20. Juli 1944 gelingt und Deutschland vor den USA die Atombombe erlabt (Christian von Ditfurth: Der 21. Juli)
- Adolf Hitler vor seiner Machtergreifung im Hotel ELEPHANT in Weimar ermordet wird? (Christian von Ditfurth: Der Consul)

Kontrafaktische Romane müssen nicht unbedingt Thriller oder Krimis sein. Sie fallen auch durchaus in den Bereich Science Fiction, wo sie - wenn sie größere Zeiträume umspannen - "Parallelwelt- oder Alternativwelt-Romane" genannt werden.
Bekanntestes Beispiel: "Der stählerne Traum" von Norman Spinrad, der davon ausgeht, dass Adolf Hitler nach einer gescheiterten Politkarriere in die USA auswanderte und dort als Comiczeichner Erfolg hatte.


Einige Beispiele aktueller historischer Krimis:

Die Klara Schindler-Reihe von Robert Brack
-spielt um 1932ff in Hamburg
-stellt historische Ereignisse oder wahre Verbrehen in den Mittelpunkt. Zentrales Moment sind die Kämpfe zwischen Kommunisten (DKP) und Nationalsozialisten (SA/SS) in den Dreißigern
-Klare Schindler ist Kommunistin und Reporterin beim HAMBURGER VOLKSBLATT. Sie benutzt eine technische Errungenschaft, die für ihre Zeit revolutionär ist: ein Magnetophon - also ein Tonband, um ihre Geschichten zu recherchieren.
2006 Kalte Abreise - Hamburg : Ed. Nautilus,
2008 Und das Meer gab seine Toten wieder, Ed. Nautilus, OA
2010 Blutsonntag, Ed. Nautilus, OA

Die Kommissar Kappe-Reihe "Es geschah in Berlin..." im Jahr 2007 gestartet von Horst Bosetzky
Hier werden beginnend im Jahr 1910 im Zwei-Jahres-Takt das Leben und die Fälle des Berliner Kommissar Kappe erzählt. Kappe beginnt seinen Dienst in der Polizei und avanciert in den dreißiger Jahren zum Kriminalkommissar.
Das Interessante an der Reihe ist, dass die Bände von verschiedenen Autoren geschrieben werden. Dadurch kann - wie bei einer Fernsehserie - ein relativ zügiger Ausstoß an neuen "Episoden" erfolgen, außerdem zeigen die Bände innerhalb des von -ky vorgegebenen Rahmen auch die unterschiedlichen Handschriften der beteiligten Autoren.
Inzwischen sind etwa 18 Bände erschienen, und die Romanzeitrechnung befindet sich im Jahr 1944

Die "Preußen-Krimis" von Tom Wolf
Rund ein Dutzend Kriminalromane aus dem Preußen Mitte des 18 Jahrhunderts
Im Mittelpunkt steht der elsässische Koch Honoré Langustier, der von Friedrich II. 1740 als zweiter Küchenmeister nach Berlin eingeladen wird. Nebenbei klärt er Morde auf.
-Königsblau
-Purpurrot
etc . Einige Romane auch als Hörspiel

Die Berlin Noir-Trilogie, und die Bernie Gunther-Romane von Philip Kerr
Bernhard "Bernie" Gunther ist Privatdetektiv mit Polizeivergangenheit im Berlin der 30 Jahre. Er gerät bei seinen Fällen in Konflikt mit den Machthabern des Dritten Reiches.
Nach Kriegsende flieht er über die Rattenlinie nach Südamerika, gelangt schließlich nach Kuba und die USA und endet im bisher letzten Roman im wieder in Deutschland im Grenzdurchgangslager Friedland.

Die Inspektor Kajetan-Reihe von Robert Hültner
Inspektor Kajetan ist Polizist zur Zeit der Münchener Räterepublik. (1919ff)
Später scheidet er auch dem Polizeidienst aus, versucht als Viragist in der Filmbranche zu überleben und wird schließlich Privatdetektiv.
1993 Walching
1995 Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski
1997 Die Godin
2004 Inspektor Kajetan und die Betrüger
2009 Inspektor Kajetan kehrt zurück

Birkefeld und Hachmeister
"Wer übrig bliebt hat Recht"
Während des alliierten Bombenkrieges muss ein  Polizist einen Mordfall klären.

"Deutsche Meisterschaft"
Die Szene der Motorradrennen in der Weimarer Zeit und die politischen Verwerfungen dieser Zeit bilden Hintergrund für eine Serienmörder-Geschichte

Wolfgang Brenner
"Der Patriot" (1998)
Am 20. Juli 1954 wurde Otto John, der erste Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Berlin entführt. Er tauchte in Berlin-Karlshorst beim KGB wieder auf und für Kalte-Kriegs-Propaganda instrumentalisiert. Nach seiner Rückkehr in die BRD wurde er vor Gericht gestellt und zu vier Jahren Haft verurteilt.