29.2.12

Ilka Stitz: Wer Fortuna trotzt

Ein schön erzählter historischer Krimi, der seine Sache ernst nimmt - näm-lich vom Leben und dem Lebenswandel seiner Zeit - 192 nach Ch - zu erzählen, und von den Verbrechen, die es damals gab.
Prächtige Landschaftsbeschreibungen. zwei Helden aus echtem Schrot und Korn und jede Menge tückische Intrigen: Das ist der Stoff, aus dem richtig gute historische Krimis gemacht werden.
Wir befinden uns in Germania Inferior; das Jahr ist 192 nach Christus, und die Stadt, in der dieser historische Krimi teilweise spielt, ist Colonia Claudia Ara Agrippinensium - heute bekannt als Köln. Hier lebt Victur Iulius mit seiner Frau Lavinia, Victor arbeitet in der Verwaltung des römi-schen Statthalters von Colonia und hat enorme Geldprobleme, weil er die letzte Sesterze ver-spielt hat. Da erzählt ihm seine Frau auch noch, dass Victors Bruder Felix sich ihr bei seinem letzten Besuch ... nun ja: unangemessen genähert habe. Und zu allem Überfluss stirbt Victors wohlhabender Onkel unter mysteriösen Umständen. Mit dem Erbe könnte Victor sich sanieren, wenn es da nicht das römische Erbrecht und seinen Bruder Felix gäbe.

Felix - der "Glückliche" - ahnt von alledem nichts. Er ist ein Bergwerskcurator und kontrolliert im Auftrag Romas die Bergwerke in Belgica. Da gerät er plötzlich in Verdacht, einen Reisenden getötet zu haben, er kann sich in letzter Sekunde aus eine eingestürzten Schacht retten und ist ab sofort mit seinem Lebensretter., dem Sklaven Ateius, auf der Flucht. Er will nach Colonia, wo er sich Hilfe von seinem Bruder erwarte - und Aufklärung.Dass er dabei direkt auf den Drahtzieher der Intrige stoßen wird, in die er geraten ist, ahnt er nicht.

"Wer Fortuna trotzt" ist ein schön erzählter historischer Krimi, der seine Sache ernst nimmt - näm-lich vom Leben und dem Lebenswandel seiner Zeit - 192 nach Ch - zu erzählen, und von den Verbrechen, die es damals gab. Das sind - soviel kann man sich denken, nun mal keine Serienkiller, sondern ganz normale Intriganten . Sehr interessant auch die Einblicke in das Rechtsver-ständnis der Römer - bei denen nicht der "Mord" die schlimmste Straftat war, sondern "Hochverrat" oder "Anwenden von Magie".


Ilka Stitz:
Wer Fortuna trotzt
Historischer Kriminalroman
grafit

21.2.12

Factsheet: Historische Romane vs. Krimis im historischen Ambiente

"Echte" Historische Romane vs. Krimis im historischen Ambiente
Factsheet von Reinhard Jahn

Was ist überhaupt ein historischer Roman, bzw ab wann spricht man von einem historischen Roman?
Autoren, die in dem Genre des "historischen Romans" arbeiten, erklären: ein historischer Roman spielt in einer Zeit, für die es keine lebenden Zeitzeugen mehr gibt. Eine andere Definition ist: Die Zeit, in der Roman spielt, muss mindestens 60 Jahre zurückliegen.

Dementsprechend wären zum Beispiel die Berlin Noir-Romane von Philip Kerr ganz knapp auch "Historische Romane". Sie erschienen ab 1995 und spielen ab den dreißigern in Berlin.

Kriminalromane,
die in einer früheren Zeit spielen, sind *nicht* historische Romane mit einer Kriminalhandlung, sondern Kriminalromane, die vor einem historischen Hintergrund spielen.
Das heißt: die Krimihandlung steht im Vordergrund, die Genreregeln müssen alle erfüllt werden.
Im Gegensatz dazu erzählen "historische Romane" in der Regel Abenteuergeschichten, Emanzipationsgeschichten und/oder Liebesgeschichten.

Und was ist dann mit "Der Name der Rose" von Umberto Eco?
Das ist sowohl ein historischer Roman als auch ein historischer Kriminalroman, weil er beide Bereiche perfekt abzudecken weiß: Die Schilderung einer früheren Zeit und ihrer ideologischen (theologischen) Fundamente in der Form eines Kriminalromans (für den er sich in der Struktur und der Ermittlerfigur an Sherlock Holmes anlehnt, einem Klassiker der Detektivliteratur)

Warum siedeln manche Autoren ihre Krimis im einer früheren Zeit an?
1. Sie erzählen eine Geschichte, die auf einem wahren historischen Ereignis beruht (etwa: Jack the Ripper, David Peace: Tokio im Jahr Null)
2. Sie möchten die Beziehungen zwischen politischen  und/oder gesellschaftlichem Umständen und dem Verbrechen, bzw dem Leben der Menschen zeigen. (Philip Kerr: Berlin Noir / Volker Kutscher: Gereon Rath / Tom Rob Smith: Kind 44 / Mo Hayder: Tokyo / David Peace: Tokio-Trilogie, etc)
3. Sie schätzen einfach die historische Umgebung und das Ambiente der gewählten Zeit als Hintergrund für ihre Kriminalgeschichten
(Anne Perry: sie siedelt ihre Krimis - Helden: Thomas Pitt, bzw William Monk - im viktorianischen England an)

Was sind die sogenannten "kontrafaktische" Romane?
Romane, die in einer Welt/Zeit spielen, die sich auf der Basis unserer Gegenwart ganz anders entwickelt hat. Die Prämisse der kontrafaktischen Geschichten ist in der Regel: "Was wäre wenn..."
-es keine Wiedervereinigung zwischen BRD und DDR gegeben hatte? ("Plan D" von Simon Urban)
- Nazideutschland den Krieg gewonnen hätte ("Vaterland" von Robert Harris)
- Deutschland im WKII die Invasion Englands gelingt und GB ein SS-Staats wird? (Len Deighton: SS-GB)
- Das Attentat vom 20. Juli 1944 gelingt und Deutschland vor den USA die Atombombe erlabt (Christian von Ditfurth: Der 21. Juli)
- Adolf Hitler vor seiner Machtergreifung im Hotel ELEPHANT in Weimar ermordet wird? (Christian von Ditfurth: Der Consul)

Kontrafaktische Romane müssen nicht unbedingt Thriller oder Krimis sein. Sie fallen auch durchaus in den Bereich Science Fiction, wo sie - wenn sie größere Zeiträume umspannen - "Parallelwelt- oder Alternativwelt-Romane" genannt werden.
Bekanntestes Beispiel: "Der stählerne Traum" von Norman Spinrad, der davon ausgeht, dass Adolf Hitler nach einer gescheiterten Politkarriere in die USA auswanderte und dort als Comiczeichner Erfolg hatte.


Einige Beispiele aktueller historischer Krimis:

Die Klara Schindler-Reihe von Robert Brack
-spielt um 1932ff in Hamburg
-stellt historische Ereignisse oder wahre Verbrehen in den Mittelpunkt. Zentrales Moment sind die Kämpfe zwischen Kommunisten (DKP) und Nationalsozialisten (SA/SS) in den Dreißigern
-Klare Schindler ist Kommunistin und Reporterin beim HAMBURGER VOLKSBLATT. Sie benutzt eine technische Errungenschaft, die für ihre Zeit revolutionär ist: ein Magnetophon - also ein Tonband, um ihre Geschichten zu recherchieren.
2006 Kalte Abreise - Hamburg : Ed. Nautilus,
2008 Und das Meer gab seine Toten wieder, Ed. Nautilus, OA
2010 Blutsonntag, Ed. Nautilus, OA

Die Kommissar Kappe-Reihe "Es geschah in Berlin..." im Jahr 2007 gestartet von Horst Bosetzky
Hier werden beginnend im Jahr 1910 im Zwei-Jahres-Takt das Leben und die Fälle des Berliner Kommissar Kappe erzählt. Kappe beginnt seinen Dienst in der Polizei und avanciert in den dreißiger Jahren zum Kriminalkommissar.
Das Interessante an der Reihe ist, dass die Bände von verschiedenen Autoren geschrieben werden. Dadurch kann - wie bei einer Fernsehserie - ein relativ zügiger Ausstoß an neuen "Episoden" erfolgen, außerdem zeigen die Bände innerhalb des von -ky vorgegebenen Rahmen auch die unterschiedlichen Handschriften der beteiligten Autoren.
Inzwischen sind etwa 18 Bände erschienen, und die Romanzeitrechnung befindet sich im Jahr 1944

Die "Preußen-Krimis" von Tom Wolf
Rund ein Dutzend Kriminalromane aus dem Preußen Mitte des 18 Jahrhunderts
Im Mittelpunkt steht der elsässische Koch Honoré Langustier, der von Friedrich II. 1740 als zweiter Küchenmeister nach Berlin eingeladen wird. Nebenbei klärt er Morde auf.
-Königsblau
-Purpurrot
etc . Einige Romane auch als Hörspiel

Die Berlin Noir-Trilogie, und die Bernie Gunther-Romane von Philip Kerr
Bernhard "Bernie" Gunther ist Privatdetektiv mit Polizeivergangenheit im Berlin der 30 Jahre. Er gerät bei seinen Fällen in Konflikt mit den Machthabern des Dritten Reiches.
Nach Kriegsende flieht er über die Rattenlinie nach Südamerika, gelangt schließlich nach Kuba und die USA und endet im bisher letzten Roman im wieder in Deutschland im Grenzdurchgangslager Friedland.

Die Inspektor Kajetan-Reihe von Robert Hültner
Inspektor Kajetan ist Polizist zur Zeit der Münchener Räterepublik. (1919ff)
Später scheidet er auch dem Polizeidienst aus, versucht als Viragist in der Filmbranche zu überleben und wird schließlich Privatdetektiv.
1993 Walching
1995 Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski
1997 Die Godin
2004 Inspektor Kajetan und die Betrüger
2009 Inspektor Kajetan kehrt zurück

Birkefeld und Hachmeister
"Wer übrig bliebt hat Recht"
Während des alliierten Bombenkrieges muss ein  Polizist einen Mordfall klären.

"Deutsche Meisterschaft"
Die Szene der Motorradrennen in der Weimarer Zeit und die politischen Verwerfungen dieser Zeit bilden Hintergrund für eine Serienmörder-Geschichte

Wolfgang Brenner
"Der Patriot" (1998)
Am 20. Juli 1954 wurde Otto John, der erste Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Berlin entführt. Er tauchte in Berlin-Karlshorst beim KGB wieder auf und für Kalte-Kriegs-Propaganda instrumentalisiert. Nach seiner Rückkehr in die BRD wurde er vor Gericht gestellt und zu vier Jahren Haft verurteilt.


17.2.12

Volker Kutscher: Goldstein


Wie in den beiden Romanen zuvor: Volker Kutscher gelingt es, uns Leser ins Berlin  der 30er Jahre zurückzuführen. Wie er das macht, bleibt sein Geheimnis - aber dieser Roman atmet, lebt im brodelnden, schillernden Berlin der Weimarer Zeit.
Berlin 1931. Die Stadt ist lebendig, schillernd, brodelnd. Varietés, die Filmstudios in Babelsberg und: organisiertes Verbrcehen. Ganoven sid  in Ring-Vereinen organsiert (das hat nichts mit Sport zu tun, es ist eher so etwas wie die Hells Angels und die Bandidos der Weimarer Zeit). Es gibt einen Machtkampf zwischen den Nordpiraten und der "Berolina". In den geraten  mehr oder weniger direkt alle Personen dieses Romans.
Da sind Alex und Benny, zwei Teenager, Straßenkinder. Sie haben eine neue Masche: Sie lassen sich nachts in Kaufhäuser einschließen und plündern dann die Schmuckabteilung. Ihr Hehler Kalli nimmt ihnen die Beute ab.
Bei Wertheim und Karstadt waren sie erfolgreich - im KaDeWe geht alles schief, die Polzei wartet. Jemand muss sie verpfiffen haben. Alex gelingt die Flucht - halsbrecherisch. Benny schafft es nicht. Er stürzt vom Dach.
Die Obduktion zeigt: So, wie eine  Finger zerquetscht sind, muss man mindestens daraufgetreten haben, damit er das rettende Geländer losließ.
Eigentlich wäre das ein Fall für Gereon Rath, Serienheld der Romanreihe, deren dritter Band "Goldstein" ist. Aber Rath muss erst einmal den amerikanischen Gangster Abraham "Abe" Goldstein beobachten, der im EXCELSIOR abgestiegen istr. Die Amerikaner haben darum gebeten. Aber warum hat man gerade ihn, einen der besten Berliner Mordermittler auf diesen Posten abgeschoben?

Wie in den beiden Romanen zuvor: Volker Kutscher gelingt es, uns Leser ins Berlin  der 30er Jahre zurückzuführen. Wie er das macht, bleibt sein Geheimnis - aber dieser Roman atmet, lebt im brodelnden, schillernden Berlin der Weimarer Zeit.

8.2.12

H.P. Karr: Der Vollstrecker


Er hatte zwei Häuser entfernt geparkt und beobachtete die blonde Frau nun schon seit einer Viertelstunde. Sie hängte in im Garten Wäsche auf. Ihr Mann arbeitete an dem Rosenbeet.
Die Unterlagen, die sie ihm über ihn gegeben hatte, waren dürftig, wie immer. Der Umschlag in seinem Aktenkoffer auf dem Beifahrersitz enthielt nur einen Bogen mit Namen, Anschrift.
Die beiden schienen noch nichts zu wissen. Das war ungewöhnlich. Die meisten wussten schon seit langem Bescheid, waren nervös und hektisch. Manche drehten durch, wenn sie ihn sahen. Der Mann im Wagen arbeitete lieber in Großstädten, aber er konnte es sich nicht aussuchen, wohin sie ihn schickten. Er bekam seine Aufträge direkt vom Chef, in einem mahagonigetäfelten Büro in einem anonymen Bürohochhaus.
"Sie kennen ja unsere Devise", pflegte der Chef zu sagen, wenn er ihm den Umschlag gab. "Kein Aufsehen! Niemand darf Verdacht schöpfen!"
***
Der Mann im Wagen kontrollierte noch einmal sein kleines Köfferchen. Außer dem Umschlag lagen noch ein paar Bündel Geld darin. Er zählte die Scheine sorgfältig durch, obwohl er den Betrag genau kannte. Es war die Hälfte, wie üblich. Es gab niemals die ganze Summe, sondern immer erst einmal die Hälfte.
Der Mann verschloss das Köfferchen und lehnte sich zurück. Er würde gegen acht Uhr warten. Dann saßen die Leute vor dem Fernseher. Allein. Er konnte es sich nicht leisten, Zeugen zu haben.
Der Mann schaute nachdenklich hinüber zum Einfamilienhaus und fragte sich, wie er reagieren würde, wenn das Los einmal auf ihn fallen würde. Ob er dann auch so schwitzen und zittern würde, wie er es oft genug gesehen hatte.
Der Mann seufzte. Der Abend war langsam gekommen. Die beiden waren ins Haus gegangen. Er nahm das Köfferchen und machte sich auf den Weg. Auf sein Klingeln dauerte es eine Weile, bis die Frau öffnete.
"Darf ich eintreten?" Sie schaute ihn verwirrt an. Wie paralysiert. Der Mann saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher.
"Was...", fuhr er hoch, als der Besucher hereinkam.
"Herr Becker?" Der Mann stellte sein Köfferchen auf den Tisch.
"Ja. Was..."
"Herzlichen Glückwunsch", sagte der Mann und klappte den Koffer auf. "Ich bin von der Lottogesellschaft und bringe Ihnen Ihren Gewinn. Einmal fünf plus Zusatzzahl, das sind genau 650.000 Euro. Die Hälfte habe ich hier in bar, über den Rest bekommen Sie einen Scheck."
Er war immer das Gleiche. Die blassen Gesichter. Die fiebrig glänzenden Augen. Die zitternden Hände. Die Schreie. Die Küsschen von den Frauen. Der Sekt.
Er hasste seinen Job.

ENDE

H.P. Karr: Der Vollstrecker
Badische Neueste Nachrichten 39/2008

Erschienen in:
Badische Neueste Nachrichten 39/2008