22.9.11

Interview: Sabine Deitmer


Ortstermin in Dortmund - zwischen späten Feierabendbummlern und frühen Party-Gängern in einem kleinen Café gegenüber der örtlichen VHS. Sabine Deitmer ist die Lady in Black - schwarzes Haar, schwarze Jacke.


Sie ist die Autorin, die 1988  mit ihrer Storysammlung "Bye Bye Bruno" eine ganz neue Gattung des deutschen Krimis erfunden hat - Zyniker nannten es damals die "Frau macht Mann tot"-Geschichten: Frauen entledigten sich ihrer nervigen, brutalen oder sonstwie störenden Gatten / Vorgesetzten / Kollegen mit trickreichen Morden - und kamen damit durch. Es war die Hochzeit des sogenannten "Frauenkrimis", und wenn man so will hat Sabine Deitmer mit ihrer Kommissarin Beate Stein ("Mein Name ist Stein - Beate Stein!") die Mutter aller deutschen Fernsehkommissarinnen, taffen Aufklärerinnen, aller emanzipierten Krimi-Polizistinnen geschaffen. Ihren ersten Auftritt hatte Beate Stein 1993 in "Kalte Küsse", es folgten "Dominante Damen" (1994) und "Neon-Nächte" (1994) Dann folgte eine große Pause - bis jetzt - 2004 Beate Stein wieder auf die Bühne zurückkomt: in "Scharfe Stiche".

Mit Sabine Deitmer sprachen Almuth Heuner und Reinhard Jahn.

Frage: Im Augenblick boomen im Fernsehen die Schönheitsshows. Und in SCHARFE STICHE geht es um aufgespritzte Lippen, abgesaugte Reiterhosen, vergrößerte Brüste und korrigierte Nasen...

Deitmer
Ja, wer hätte sich je vorstellen können, wieviele Frauen (und Männer) an ihrem Körper rumschnibbeln lassen. Wie die Branche boomt. Wie die Medien das begleiten mit allem Tamtam. Dass bei "Big Brother" und anderen Fernsehfomaten die Mädels Schlange stehen, um ihre OP filmen zu lassen. Das ist ja inzwischen Mainstream, gesellschaftlich."

Frage:
Sie haben Erfahrungen mit Schönheitschirurgie?

Deitmer:
Sehe ich so aus?

Frage:
Wir achten eher auf die inneren Werte.
Deitmer:
Soll ich das jetzt als Kompliment oder Beleidigung auffassen?  - Nein, ich habe mich nicht liften lassen, nichts absaugen lassen. Vor der Arbeit an den 'Scharfen Stichen' hätte ich vielleicht kleinere Korrekturen nicht ausgeschlossen. Aber  jetzt weiß ich: niemals. Gerade habe ich ein paar neue Schneidezähne verpaßt gekriegt, ich habe ausdrücklich darauf bestanden, dass sie genauso krumm und schief wie ihre Vorgänger werden. Wer weiß, ob ich das ohne die 'Scharfen Stiche' so entschieden hätte.


Frage:
"Scharfe Stiche" beginnt damit, dass ein Schönheitschirurg grauenhaft ermordet und entstellt vor seiner Klinik gefunden wird. Schweineohren spielen dabei eine große Rolle, und später ein Schweinekopf....
Deitmer:
Oh je, der Schweinekopf. Das ist so eine Geschichte...

Frage:
Und zwar?

Deitmer:
Ich habe mir zur Recherche einen Schweinekopf besorgt, einen echten, über einen befreundeten Metzger. Und als ich den das erste Mal in den Händen gehalten hab, hätte ich am liebsten alles wieder rückgängig gemacht. Ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass mich das so berühren würde, der Kopf in meinen Händen. Ich habe ihn dann in den Kühlschrank gepackt. Es hat ein paar Tage gedauert, bis ich es geschafft habe, ihn wieder rauszunehmen und an ihm rumzuschneiden. Danach habe ich ein paar Wochen lang kein Fleisch angerührt.

Frage:
"Scharfe Stiche" ist nach fast zehn Jahren wieder ein "Beate Stein"-Roman. Wir finden die Kommissarin auf den ersten Seiten relativ unbeschädigt in ihrer alten Heimat Dortmund wieder - bis auf eine Beziehungskrise mit ihrem Dauerlover Beckmann scheint sich wenig verändert zu haben.

Deitmer:
Sie finden Beate  also 'relativ unbeschädigt'. Das freut mich. Ich habe es ja damals nicht übers Herz gebracht, Beate sterben zu lassen. Also lebt sie jetzt in den "Scharfen Stichen" wie sie nun mal ist, im Hier und Jetzt. Und da sieht es ganz anders als vor zehn Jahren aus."

Frage
Und zwar?

Deitmer:
Beates alter Chef ist pensioniert, neue Zeiten sind angebrochen. Ich schildere die Polizeibehörde in den Zeiten von Controlling und Qualitätsmanagement. Da kann ich aus eigenen Erfahrungen schöpfen. Ich bin ja vor einiger Zeit nach zehn Jahren als freie Autorin zurück in die öffentliche Verwaltung. Es ist unglaublich, was sich da getan hat, was sich da zur Zeit tut.

Frage:
"Qualität, Professionalität, Rentabilität", um Beate Steins neuen Chef zu zitieren. Die Behörde als Dienstleister, der Bürger als Kunde....

Deitmer:
Und wissen Sie, wie Geschäftsberichte heute  heißen? - 'Erfolgsbericht'. Das sagt alles, finde ich. Das erste neue Wort, das ich gelernt habe, als ich zurück in die VHS kam, hieß P-U-L-P. Das hat nichts mit Krimi zu tun. Es heißt übersetzt 'Produkt- und Leistungsplanung.' Eine  Wiedergänger der alten Fünf-Jahrespläne aus der DDR.

Frage
Beate Stein nimmt das alles nicht so ganz ernst und lässt ihren Chef mit seinem Controlling-Wahn einige Male eiskalt auflaufen: Der Krimi als satirische Bürokratiekritik?

Antwort:
Sie nennen es 'satirische Bürokratiekritik, für mich ist es die Realität.

Frage: In den Zeiten Ihrer "Bye Bye Bruno"-Geschichten hätte so einer wie Beates neues Chef nicht lange überlebt. Irgendeine Putzfrau oder Sekretärin hätte ich ihn geschickt gemeuchelt und wäre damit davongekommen.


Deitmer:
Sicher nicht.

Frage: Mit den Geschichten in "Bye Bye Bruno" haben Sie seinerzeit nicht nur eine Reaktion Ihrer männlichen Kollegen ausgelöst...
Deitmer:
Und was für eine!

Frage:...sondern auch ein Vorbild für jüngere Autorinnen geschaffen. Sehen Sie Ihre Themen, Ihr Anliegen heute in den Werken der aktuellen Autorinnen fortgesetzt?

Deitmer:
Ein Vorbild für jüngere Autorinnen? So habe ich das nie gesehen, das habe ich auch nicht angestrebt. Mich hat es eher verblüfft, dass ich mit den Bruno-Geschichten eine Tür aufgestoßen habe, durch die in der Folge so viele Kolleginnen gegangen sind, dass ich so viele inspiriert habe, eigene Männer-Mordgeschichten zu ersinnen, darunter so schöne, wie die von Milena Moser und Ingrid Noll. Vor kurzem habe ich auf einer Lesung von Thea Dorn eine Geschichte gehört, in der eine Frau einen Verehrer mit dem Bikini erwürgt, den er für sie gestrickt hat. 16 Jahre nach dem Erscheinen von 'Bruno' ist für die Kolleginnen das Männermorden immer noch Thema.

Frage: Für Sie nicht?

Deitmer:
Mich selbst hat das Männermorden schnell gelangweilt, und ich habe mich anderen Themen zugewandt. In 'Auch brave Mädchen tun's', zwei Jahre nach 'Bruno' habe ich die Männer eher lustlos und beiläufig umgebracht, Thema waren für mich die Frauen, deren Wege zu Glück und Zufriedenheit, jenseits der Bilder, die unsere Kultur für Frauen parat hält.    


Frage: Sehen Sie sich eigentlich selbst in einer Krimi-Tradition?

Deitmer
Das habe ich mich noch nie gefragt. Die Beate Stein-Romane sind Polizeiromane, das wäre am ehestens die Sjöwall-Wahlöö-Tradition. Damit könnte ich mich anfreunden. Aber in welcher Tradition steht die Nähe, mit der ich im parallelen Erzählstrang immer beim Opfer/Täter bleibe?

Frage: Vielleicht in der eines Autors oder eine Autorin, von denen Sie geprägt wurden? Wie fing das also alles an mit Ihnen und dem Kriminalroman?

Deitmer:
Christie und Highsmith sind die Autorinnen, mit denen ich mich zu Studienzeiten am intensivsten beschäftigt habe. Am meisten beeindruckt hat mich bei ihnen die Respektlosigkeit, mit der sie sich über Genre-Konventionen hinweggesetzt haben. Agatha Christie läßt den Erzähler morden, einen Polizisten, ein Kind, eine Gruppe von Menschen, sie kennt kein Pardon. Im Deutschen kommt sie durch die frühen Übersetzungen viel zu "niedlich" rüber. Im Englischen ist das anders. Patricia Highsmith hat als erste, einen charmanten Mörder zum Helden ihrer Romane gemacht. Aber ich liebe auch Janwillem van de Wetering, Faye Kellerman, Robert B. Parker, Frances Fyfield, Elmore Leonard... es gibt so viele tolle Autoren und Autorinnen...

Frage: Kellerman, Parker, Leonard sind amerikansiche Autoren - zur Zeit wird ja viel über einen Unterschied zwischen amerikanisch beeinflußtem Erzählstil und einem "europäischen" Stil diskutiert.  Gibt es einen typisch deutschen Stil?

Deitmer:
Auf der ersten deutsch-französischen Krimitagung im Dezember 2003 war ich beeindruckt von Jean-Bernard Pouy, der einen Roman aus der Perspektive einer telepathischen Kuh erzählt ("Larchmütz 5632"). Da sitzen zwei Alt-68er auf einer maroden Farm in der Bretagne, die Frauen sind ihnen weggelaufen, dann kommt ein Brief, sie werden reaktiviert und sollen wieder Revolution machen. Beseelt von altem revolutionärem Schwung besaufen sie sich und schießen auf alte Musik-scheiben, die sie für verzichtbar halten...ein wunderbarer Roman. Seither mache ich mir Gedanken darüber, ob ich nicht als nächstes bzw. übernächstes etwas ganz anderes schreiben werde, etwas europäisch-verrücktes, etwas jenseits der amerikano-Plot-Dramaturgie. Seit der Tagung habe ich zum ersten Mal
daran gedacht, ob nicht ähnlich wie im Musikbereich auch die nationalen Geschichten schützenswert wären.

Frage: Eine Deutsch-Quote im Krimi-Bereich? Nicht wikrlich, oder?
Deitmer:
Warum nicht? Bei einer Lesung mit sieben anderen KollegInnen im Münchener Literaturhaus ist mir bewußt geworden, wie unterschiedlich und anders in Ton, Thema und Stil wir alle waren. Was für ein Reichtum das ist. Und wie öde dagegen diese amerikanischen 'Plastikbücher' sind, bei denen der Stil immer gleich und die Handlung vorhersehbar war. Bücher, die unsere Buchhandlungen überschwemmen. Vielleicht brauchen wir einen geschützen Freibereich, in dem sich Geschichten jenseits des Mainstreams entwickeln können. Ein paar Jahre lang habe ich nichts geschrieben, weil ich mir überlegt habe, welche Art von Geschichten zu den sich so rasant ändernden Zeiten passen. Für mich war zum Beispiel ein wesentlicher Antrieb 'starke Frauen' auf dem Papier zu entwickeln, weil sie in der Öffentlichkeit (Werbung, Politik, Fernsehen) nicht vorkamen. Heute ist das anders, Frau Merkel plant ihre Kanzlerkandidatur, Frau Christiansen plaudert mit den Mächtigen, Hobbymärkte machen Werbung mit starken Frauen, die Bohrhämmer schwingen... Was für Geschichten möchte ich erzählen als Kommentar zu den schönen neuen Zeiten? Das ist für mich weiter eine zentrale Frage. Seit der Lektüre von "Larchmütz 5632" weiß ich, dass die Antwort auf diese Frage vor der eigenen Haustür liegt, auf jeden Fall in Europa.

Frage: Sie haben beides gelebt, zehn Jahre lang waren Sie freie Autorin, jetzt arbeiten Sie wieder an der Volkshochschule und schreibe nebenher. Was ist der  Unterschied?

Deitmer:
Seit ich nicht mehr Schreiben muß, weil ich mein Geld an der VHS verdiene, habe ich die alte Lust am Schreiben wieder entdeckt. Es ist ein tolles Gefühl, machen zu können, was ich will. Frei von dem Druck, ökonomischen Erfolg haben zu müssen

Frage:  Und die obligatorische Schlussfrage für das krimi-forum.de: Wie nutzen Sie das Internet für Ihre Arbeit und welches ist Ihre Lieblings-Homepage?
Deitmer: Bei einem fulltime job und dem Schreiben ist die Zeit zum Surfen begrenzt. Zur Zeit besuche ich die Homepages deutscher und ausländischer Kollegen und Kolleginnen, weil ich denke, ich sollte langsam auch eine haben. Bisher schreckt mich noch die Vorstellung, dass so eine Homepage gewartet und auf den letzten Stand gebracht werden muß...

Frage: Danke für das Gespräch.

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Interview mit Sabine Deitmer, geführt von Reinhard Jahn und Almuth Heuner, 2004,
Veröffentlicht auf www.das-syndikat.com 2004

Sabine Deitmer im Krimilexikon:
http://krimilexikon.de/deitmer.htm

Sabine Deitmer in der "Befragung" von Thomas Przybilka und Gisela Lehmer-Kerkloh
http://www.bokas.de/befragungdeitmer-sabine.html

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