29.4.11

Wie wir wurden, was wir sind.
Mehr als 50 Jahre deutsche Kriminalromane.

Vortrag im Rahmen der Langen Kriminacht in der Stadtbücherei Nettetal
6. Mai 2011 bei der CRIMINALE

Wie wir wurden, was wir sind.

Mehr als 50 Jahre deutsche Kriminalromane.

So, wie das da steht, ist es natürlich falsch. Als habe es vor dem Zweiten Weltkrieg und vor 1945 keine deutsche Kriminalliteratur gegeben. Das wurde zwar eine Zeitlang gern behauptet, ist aber deshalb trotzdem nicht wahr.
Kriminalromane gehörten ebenso zur Unterhaltungsliteratur der Weimarer Zeit wie der Liebes-Roman, der Gesellschaftsroman, der Abenteuerroman und der "Sitten-Roman" (vulgo: der softcore Porno). Sogar Zukunftsromane gab es. Weil wir diesen Abschnitt hier nun keinesfalls vertiefen wollen, schließen wir ihn auch gleich ab - mit Verweis auf Buchreihen  wie den "Aufwärts-Kriminalroman", die "Bären-Bücher" und andere Krimi-Reihen, die in jener Zeit publiziert wurden, aber auch auf die zahlreichen Fortsetzungsromane, die in Tages-Zeitungen erschienen und eine große Leserschaft fanden - quasi als die daily soap des Vor-Fernseh-Zeitalters.
Das mit den Fortsetzungsromanen müssen wir uns jetzt einmal merken. Wozu, das wird später klar werden.
Ein wunderbares Werk, das diese Literaturszene der Weimarer Zeit beschreibt ist:
Martin Keune : Groschenroman: Das aufregende Leben des Erfolgsschriftstellers Axel Rudolph
Die Geschichte eines Bochumer Bergmanns, der zu einem der erfolgreichsten Schriftsteller der Weimarer Zeit wurde.

Also, wie fing das alles wieder an, nach dem Krieg. Deutschland war in die Besatzungszonen aufgeteilt, von denen sich die "Alliierten" bald zusammen organisierten, während die russische Besatzungszone Wert auf ihr Eigenleben legte. Aus ihr wurde später die DDR - mit einer eigenen Sorte von Kriminalliteratur.

In der Tri-Zone - beziehungsweise TRI-ZONESIEN, wie es ein Karnevalsschlager jener Zeit formulierte - waren die Medien, also auch das Verlagswesen, der Kontrolle der Besatzungsmächte unterworfen.

Neu gegründete Zeitungen und Zeitschriften mussten sich lizenzieren lassen, beziehungsweise lizenziert werden. Genau wie Rundfunkanstalten - und Verlage - standen sie unter der Aufsicht der Kulturoffiziere der Besatzungsmächte. Einer von ihnen war etwa der Journalist Hugh Carleton-Greene - der in der britischen Zone den NWDR mit aufbaute. Er war der Bruder britischen Autors Graham Greene, der unter anderem die Vorlage zu dem Nachkriegs-Filmklassiker "Der dritte Mann" schrieb.
Andere Kulturoffiziere, die maßgeblich an der "Re-Education" der Deutschen arbeiteten, hatte ähnliche berufliche Hintergründe - sei es als Journalisten, als Werbe- oder PR-Leute oder Verlagsangestellte. Sie sorgten in dieser Zeit - und später, als sie sich zum Teil in Deutschland niedergelassen hatten - für einen ständige Strom von Übersetzungen US-amerikanischer (Unterhaltungs-)Literatur - darunter nicht unwesentlich viele Kriminalromane.
Als Kulturoffiziere genehmigten sie die Veröffentlichung solcher US-Unterhaltungsware, später wurden nicht wenige von ihnen Literatur-Agenten und zogen hinter den Kulissen die Strippen um Autoren wie Erle Stanley Gardner ("Perry Mason"), Raymond Chandler, Dashiell Hammett, aber auch James Hadley Chase, Lemmy Caution, Peter Cheyney und Mickey Spillane auf den deutschen Markt zu bringen.

Und die deutsche Kriminalliteratur, wo fand die statt? Und woher kam sie? Krimi bezieht seine Geschichten in der Regel immer auf die aktuelle Zeit - und die hatte sich in Deutschland ja gerade radikal gewandelt und wandelte sich noch immer, so dass man nur die allerwenigsten Romane aus der Weimarer Zeit wiederveröffentlichen konnte. Abgesehen davon, dass die potentiellen Schauplätze fast alle zerbombt waren und sich Polizei und Justiz erst wieder im Aufbau befanden, konnte man sich auch bei der (früheren) ideologischen Position des Autors nie ganz sicher sein.
Gut, es mussten also neue Krimis geschrieben werden. Weil Krimi stets populär ist, auf ein Massen-Publikum zielt, fand die deutsche Kriminalliteratur der Nachkriegszeit dementsprechend in den Massenmedien statt - will sagen: im Radio und in der Presse.

Wir bewegen uns jetzt so in der Mitte bis Ende der sechziger Jahre, also fast am Ende des Wiederaufbaus. Es gibt zwei deutsche Staaten, die Aussicht auf eine Wiedervereinigung ist absolut illusorisch.
Die Hochliteratur wird bestimmt von den Autoren der Gruppe 47, es sind Namen wie Heinrich Böll, Martin Walser, Günter Grass und andere. Eins ihrer Themen: die deutsche Vergangenheit.
Im Krimi sind es andere Namen:
Rolf und Alexandra Becker, Hugo Maria Kritz, Michael Horbach, auch Johannes Mario Simmel und Heinz G. Konsalik gehören dazu. Und natürlich Marie Luise Fischer.
Sie schrieben entweder für den Hörfunk (wie R. und A. Becker, eines der großartigsten und erfolgreichsten Teams), oder sie arbeiteten für Illustrierte.
Titel für die Revue 1953
Quelle Wikipedia

Illustrierte - das man hier vielleicht erklären, waren eines DER Massen- und Unterhaltungsmedien der sechziger und siebziger Jahre. Sie waren kaum zu vergleichen mit den heutigen "Magazinen" oder "Klatschblättern" - eine Illustrierte war i.d.Regel zwar spezialisiert (Mode, Frauen, Fernsehprogramm), aber sie war als Familienzunterhaltung ausgelegt, als "Musikdampfer", wie es der große Illustrierten-Chef und "Erfinder des Stern  Henri Nannen einmal nannte.
Die Illustrierten mit ihren großen "Tatsachenserien" ("Deutschland deine Sternchen") und "Fortsetzungsromanen" war das Forum für den Kriminalroman jener Jahre.
Es waren zum größten Teil journalistisch vorgebildete - und vorbelastete Autoren, die die erfolgreichsten Romane für Blätter wie KRISTALL, CONSTANZE, BUNTE (ja, die gab es damals schon), die HÖR ZU oder REVUE verfassten.
Ein Fortsetzungsroman in einer Illustrierten war ähnlich "konzipiert" wie eine daily soap, er wurde groß inszeniert (mit großen Illustrationen), und nicht selten wurde er so "gestückelt", dass Abonnenten darüber vergaßen, ihr Abo zu kündigen.
(Als "Vater" des modernen Fortsetzungsromane gilt Eduard Rhein, langjähriger Chef der HÖR ZU, der als erster auf die Idee kam, den Fortsetzungsroman eigens für das Blatt schreiben zu lassen, und das nicht notwendigerweise von einem Autor allein. Als "Hans Ulrich Horster" schrieb, bzw inszenierte er selbst einige der erfolgreichsten HÖR ZU-Romane - "Suchkind 312")

Nur als Beispiel, wie die Fortsetzungsromane "inszeniert" wurden einige Kopien aus der BRAVO.
Nicht selten wurden die Romane dann noch als Taschenbücher nachgedruckt, andere Romane - besonders die des "späten" Konsalik entstanden bereits in einer Art Medienverbund zwischen Zeitschriftenredaktion und Buchverlag.
Dass diese Krimis im heutigen Bewusstsein gar nicht als Väter und Mütter unserer Gattung wahrgenommen werden, liegt daran, dass sie den "Krimi"-Aspekt in der Regel immer um einem "Drama"-Aspekt erweiterten, heute würde man sagen, es waren "Liebes-Krimis" oder "Chick-Lit-Krimis" oder "Schicksals-Krimis" oder ähnliches. Überhaupt war "Krimi" seinerzeit dem "britischen" Krimi vorbehalten, dem Landhaus- und Edgar Wallace-Krimi, auf den sich die "Mimi" aus dem Schlager so wunderbar reimte.

Statt "Krimi" nannte man es selbst gern "Zeit-Roman", weil dort Themen der Zeit aufgegriffen wurden. In diesem Zusammenhang waren die Geschichten und Stoffe sicher mitunter nicht weit vom heutigen Nachmittagsfernsehen entfernt. Und genau wie da war die "Kriminalgeschichte" die Form, in der die aus der Aktualität der Zeit gegriffenen Stoffe erzählt wurden.
Beispiel etwa "Mischlingsmädchen Billie", ein Fortsetzungsroman aus der PRALINE 1971, in dem das Thema der "Mischlingskinder", will sagen: der Besatzungskinder in Deutschland thematisiert wurde. Ein anderer Autor - Michael Horbach - fasste das Thema ähnlich spekulativ an: "Gottes zweite Garnitur."
Vergessen wir nicht, dass die großen Bucherfolge von J.M. Simmel - ES MUSS NICHT IMMER KAVIAR SEIN - zuerst als Fortsetzungsgeschichte in der QUICK erschienen, bei der Simmel mitarbeitete.
Beispiel für einen außerordentlichen "Sensationsroman": DR LESIUS von Michael Donrath alias Michal HORBACH, ein großes Kolportageabenteuer für die BUNTE ILLUSTRIERTE

Die Autoren  dieser Romane waren oft nach einer kurzen journalistischen Vorkriegskarriere dann "im Felde" gewesen und hatten nach Kriegsende wieder als Journalist zu arbeiten begonnen. Fast typisch, dass sich in den Bibliographien dieser Autoren immer mindestens ein Kriegsroman findet, in dem sie ihre Erfahrung verarbeitet haben (der bekannteste wurde später "Steiner -Das Eiserne Kreuz" von Will Berthold.)
Zu dieser Generation zählt auch Heinz G. Konsalik, der - wie man weiß - mehr als einen Kriegsroman geschrieben hat, aber eben auch Krimis - bzw eher Thriller - , unter anderen als Fortsetzungsromane.

-->;Übernahme durch ALMUTH: MARIE LUISE FISCHER etc etc


Der andere Bereich in dem Krimi sich entwickelt, war der Rundfunk - dort war Krimi freilich bis Ende der siebziger im wesentlichen angelsächsisch geprägt - nicht nur, weil des Kriminalhörspiel der BBC - aus dessen Fundus man sich bediente - eine große und großartige Tradition hatte, sondern natürlich auch, weil die deutschen  Rundfunkanstalten unter britischer Lizenz und Leitung neu aufgebaut wurden.
Hier muss natürlich jetzt ein Name wie Francis Durbridge fallen, der vor seinen Fernseh-Straßenfeger im Rundfunk mit seinen mehrteiligen Serials (um den Kriminalschriftsteller Paul Temple) großen Erfolg hatte.
Deutsche Autoren?
Erst später stellte sich heraus, dass sich hinter "Malcolm F. Browne", der für den NWDR das Serial "Gestatten mein Name ist Cox" geschrieben hatte, eine eher komödiantisch angelegte Kriminalstory mit dem Untertitel "Ein Spaßvogel im Kampf gegen die Unterwelt",  - dass sich hinter diesem ur-britischem Autorennamen das deutsche Autorenpaar Rolf und Alexandra Becker verbarg, die mit ihrem "Cox" einen Riesen-Erfolg haben sollten - der bis hin zu einer Fernsehserie und einem Kinofilm reichte.

(Die Legende geht wenigstens so, das Rolf Becker sich den Namen eines britischen Onkels borgte, um sein erste Cox-Manuskript beim NWDR an den Mann zu bringen.)

Übernahme ALMUTH, die in etwa über diese Dinge redet: Wenn man sieht, dass etwa die Frankfurter Autorin Lieselotte Appel als "L.A. Fortride" ihre Krimis bei Goldmann veröffentlichte, ist man fast geneigt, der Geschichte zu glauben. Hier passt auch gut die Geschichte von Irene Rodrian hinein, die sich mit zwei Manuskripten beim Wettbewerb um den Edgar Wallace Preis beteiligte und mit dem einen gewann - Tod auf St Pauli - aber man ihr nur die Hälfte des Preisgeldes zahlen wollte, weil sie eben eine Frau war. und das andere Manuskript wurde abgelehnt, weil es hieß: "Das ist so gut, das kann keine Frau geschrieben haben.")

Wie sind jetzt schon heftig in den siebziger, und des gibt  den sogenannten neuen deutschen Krimi - der jetzt auch neben den Illustrierten-Romamen als Buchveröffentlichung zu existieren beginnt. Als Bücher waren bis dahin in der Regel Krimis unter eben dieser Bezeichnung als Taschenbücher und das auch noch in einheitlich aufgemachten "Reihen" erschienen.
Das hieß: drei Goldmann Krimis pro Monat, drei gelbe Ullstein-Krimis pro Monat und zwei oder drei Heyne Krimis. Dazu die Serie der "Mitternachtsbücher" aus dem Desch-Verlag und natürlich - seit Ende der sechziger, die rororo-thriller. Schwarzes Cover, anfangs noch auf gelbes Papier gedruckt, herausgegeben von einem Lektor, der sich anders als seine Kollegen bei Ullstein und Goldmann nicht als Traditionalist verstand, sondern als Innovator: Richard K. Flesch.

Er sorgte für den ersten Schwedenkrimi-Boom in Deutschland, indem er Sjöwall und Wahlöö übersetzen ließ. Und durch ihren Ansatz kam eine Generation deutscher Autoren zu Wort, die ausdrücklich von Flesch gefordert und gefördert wurden:
Die Schwarze Bande von Rowohlt, bestehend aus
-Bosetzy,
-Molsner,
-Rodrian,
-Hansjörg Martin,
-Werremeier und teilweise
-Thomas Andresen.
Einesteils waren auch diese Autoren journalistisch vorbelastet - se stammten aus der Generation, die den oben beschriebenen Stars wie Will Berthold, Rolf Palm oder Michael Horbach folgte. Mike Molsner - Journalist, Friedhelm Werremeier - so eine Mischung aus Gisela Friedrichsen und Peter Scholl-Latour für den Bereich Kriminalitäts- und Gerichtsberichterstattung.
Andere hatten - wie Hansjörg Martin oder Irene Rodrian - mal Kontakt zur Werbung, zum Zirkus oder zum Theater und zum Fernsehen gehabt, waren also "Unterhaltungsprofis"

Und als Solitär unter ihnen Horst Bosetzky (alias -ky) - ein Soziologie-Professor aus Berlin -  der wegen seines Berufs ganz klar für die Begriffprägung "Soziokrimi" verantwortlich, die später fast zum Schimpfwort geworden ist.
Hansjörg Martin war eher der Gentleman, der Vertreter des zeitgemäßen Unterhaltungsschriftstellers in der Runde. Seine Romane BEI WESTWIND HÖRT MAN KEINEN SCHUSS und EINER FEHLT BEIM KURKONZERT erzielten neben der Buchveröffentlichung als rororo-thriller ihren Durchbruch beim Publikum als - genau: Fortsetzungsroman, (im Stern)

Im STERN und anderen Zeitschriften - der BUNTEN, der HÖR ZU, der QUICK schrieb damals auch einer, der zwar nicht zur Schwarzen Bande gehörte, aber ebenfalls zu den prägenden Autoren des deutschen Nachkriegskrimis zählt: ein gewisser Michael Preute, geboren in Duisburg. Gelernter Journalist (Tagszeitung, Illustrierte, dann Journalist und Krisen-Reporter) Preute schrieb Fortsetzungsromane im "Zeitroman"-Stil, aber auch Sachbücher wie etwa "MORD SCHMITT" über einen Kriminalisten seiner Zeit und "ernsthafte" Kriminalromane wie MAGNETFELD DES BÖSEN.

Zu seinem großen Erfolg kam er freilich erst Jahre später, als Preute aus dem Reporterjob ausgestiegen war, sich selbst trockengelegt hatte und sich in einem Eifelörtchen namens Berndorf niederließ, nach dem er sich fortan benannt. Jacques Berndorf. Er schrieb seine ersten Siggi Baumeister-Krimis, die noch bei Bastei Lübbe erschienen, und in denen Siggi Baumeister noch ein fitter, fixer Politjournalist in Bonn ist.
Ein anderer Journalist dieser Zeit kämpfte auch gegen die Droge - nicht Alkohol, sondern Heroin - und bereicherte den deutschen Krimi um einige seiner besten Werke: Jörg Fauser (Jahrgang 1944), eigentlich Literat mit journalistischer Ader, schrieb nach diversen Drogenbüchern seine Krimis DER SCHNEEMANN, ROHSTOFF und SCHLANGENMAUL, die nur allzu gern wegen ihrer absoluten "unpolitischen", also "individualistischen" Haltung gegen den Sozio-Krimi ausgespielt wurden, denen man andererseits schon bald Eindimensionalität und Formelhaftigkeit vorwarf.

Die Romane des Sozio-Krimis werden oft als Ausdruck der Studentenrevolte, als Teil des außerparlamentarischen Aufbegehrens seiner Zeit gesehen, aus dem sich dann auch der politische Terrorismus der RAF entwickelte. Im Sinne von "Zeitromane" mag das wohl stimmen - dass es Romane waren, die ihre Stoffe aus ihrer Zeit bezogen (ähnlich wie das "Mischlingsmädchen Billie" in den sechzigern)
Zeitgemäß, beziehungsweise Zeitbezogen waren - nach dem Sozio-Krimi - dann auf einmal die Frauenkrimis - auch sie als Reflex auf den um sich greifenden Feminismus und die Emanzipationsdebatte.

Und hier übergebe ich an Almuth Heuner, die die Sache dann auch zu Ende bringen wird.

5.4.11

Selbstversuch: Jan Wallentin - Strindbergs Stern 3/3


Was bisher geschah
Teil 2

Oder: Alles auf Anfang#
Teil 1


Kapitel 17 bis …30
Es wird wohl Zeit, dass ich
ACHTUNG SPOILER

schreibe.
Langsam kommt jetzt etwas Dramatik in die Gsechichte – aber gaaanz langsam. To cut a long story short: Don Titelmann und seine treue Anwältin Eva Strand erfahren von der Polarexpedition, die Ende des 19 Jh zu jenem Ort durchgeführt wurde, auf die die seltsamen mystischen Projektionen des Strindberg-Kreuzes wiesen – und wie keiner die Expedition überlebte und dann auch noch alles von der Regierung vertuscht wurde.
Wer es bisher noch nicht wusste, erfährt spätestens jetzt, dass zu dem mysteriösen Kreuz, das der Taucher aus dem Bergwerk geholt hat, und das ihm von Elena, der vorgeblichen Journalistin geraubt wurde – ein zweiter Teil, ein Stern, gehört, durch den erst die magische, mystischen oder was auch immer für Fähigkeiten des Kreuzes entstehen.
Den Stern wollen die Deutschen von unserem Helden haben, weil sie meinen, er habe ihn aus dem Haus der Tauchers mitgenommen – und wie wir Deutschen halt so sind - bedrohen sie unseren Helden.
Doch dem gelingt – samt Anwältin, die Flucht – und mit Hilfe seiner ziemlich durchgeknallten Schwester Hex schaffen es Don (und seine Anwältin) nach Ypern in Belgien, Schauplatz der großen Schlacht im 1. Weltkrieg.
Was sie da wollen? Okay, Don hat – eher zufällig – aus dem Haus des toten Tauchers eine historische Postkarte mit einem Bild der Kathedrale von Ypern und einigen Liebesversen auf der Rückseite mitgenommen. Und weils halt keine andere Spur gibt (mit der man die Handlung in Gang halten könnte) nimmt er halt diese – und die führt unseren Helden über viel Touristisches in Ypern und einer Menge Baudelaire-Deuterei (von dem stammen die Liebesverse) schließlich (samt Anwältin) auf einen Soldatenfreidhof in der Nähe – auf der Suche nach einem bestimmten Grab. Das finden sie in einer großen Grabhalle, und der Akt, mit dem unseren beiden Helden den toten Soldaten dann unten in der Gruft aus dem Sarg holen, um ihm eine neue Geheimnisbotschaft (buchstäblich) aus den Zähnen zu ziehen – diese Szene erreicht fast wieder das Gruselniveau der Einstiegsszene mit dem Taucher im Bergwerk. Und siehe da – bei dem toten Soldaten befindet sich aus der seltsame Stern, durch den das seltsame Kreuz erst zur magischen Sache wird.

Damit ist dann jetzt auch halbwegs klar, wohin die Geschichte laufen wird: Elena, die Killerin, die inzwischen in Deutschland bei ihren Auftraggebern, einer mysteriösen „Stiftung“ ist, hat den einen Teil des Schatzes, unser Held den anderen. Die einen werden jetzt den anderen jagen – der immer noch nicht ganz begriffen hat, worum es überhaupt geht.

Der Roman schlingert in diesem Mittelteil erheblich – da ist zuerst einmal die lange Geschichte über die Herkunft des Kreuzes bis zur Polarexpedition, die wir allein aus einem langen Monolog des Deutschen Eberlein erfahren. Solche Vorgeschichten von einer Person erzählen zu lassen ist zwar die einfache, aber eigenlich nie die klügste Lösung, um die backstory zu vermitteln. Wie Wallentin das hier löst, ist dennoch respektabel, aber man wird das Gefühl nicht los, dass er eine Menge Potential verschenkt. Besonders, wenn man dann die endlos lange (und überflüssige) Beschreibung der Methode liest, wie unsere Helden dann von Schweden nach Belgien kommen.
Mit der Ankunft in Ypern beginnt im Buch dann ein neuer Teil - zuerst mal mit der vollen Dosis Zeitgeschichte, die vom Erzähler präsentiert wird (der sich bisher diskret zurückgehalten hat) Sekundierend fällt unseren Helden dann immer im rechten Moment das passende Prospekt des Verkehrsvereins Ypern in die Hände.

Ja, unseren Helden. Don Titelmann und seine tapfere Anwältin. Schwach gezeichnet. Kaum motiviert. Von der Anwältin wissen wir nichts und erfahren auch nichts. Kein Vergleich zu den Figuren, mit denen es Titelmanns Kollegen Robert Langdon oder Indiana Jones zu tun haben. Niemand scheint genau zu wissen, wieso diese Frau Don Titelmann überhaupt auf dieser Tour begleitet, sie selbst am wenigsten. (Okay, wir haben noch die Hoffnung, dass sie entweder im geheimen Auftrag an unseren helden herangespielt wurde oder zu den Bösen gehört und ihn beobachten soll). Aber bis jetzt wirkt sie irgendwie wie Meg Ryan in den meisten ihrer Filme: überflüssig
Und unserem Helden fehlt der echte Impuls, warum er sich in die Sache reinhängt. Kein Zeitdruck (wie in „Das verlorene Symbol“), kein Erkenntnisinteresse, noch nicht mal ein übersteigertes Ego (wie im „Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten“) oder einfach nur Abenteuergeilheit (wie in „Lara Croft“) . Aber okay, es soll wohl kein pageturner der klassischen Art sein, der hier geschrieben wird – also hoffen wir auf das große Geheimnis von Strindbergs Stern, das sicher irgendwann enthüllt wird.

Lieblingsstelle: Es wird erzählt, wie gegen Ende des 19 Jahrhunderts eine Stiftung gegründet wird, die nach den Willen der Gründer „unbedingt in Nordhrein-Westfalen“ angesiedelt sein musste.
Blöd nur, dass NRW erst nach dem Krieg (dem zweiten!) von den Briten aus „Westfalen“ und der „Rheinprovinz“ geschaffen wurde.


Kapitel 31 bis Ende (55)

Natürlich hier ganz klar:

Vorsicht

SPOILER

Nach der Episode in Ypern geht es Schlag auf Schlag – fast wie bei einem Hit and Run-Videogame: Die bösen (nennen wir sie mal so) Deutschen schaffen es, die Anwältin und des Kreuz in ihre Gewalt zu bringen, damit erpressen die von Don Titelmann den „Stern“, durch den die – nennen wir sie mal „Funktionalität“ von Stindbergs Stern als Wegweiser erst hergestellt wird.
Übergabe soll in der Wewelsburg in der Nähe von Paderborn sein (einer alten Nazi.-Ordenburg, über deren Geschichte wir natürlich eingehend aufgeklärt werden).
Mit einem Trick schafft es Don Titelmann nach der Übergabe, als die bösen (nennen wir sie mal so) Deutschen ein Ritual mit Strindbergs Stern vollziehen wollen, alles in die Luft zu sprengen und mit der Anwältin Eva weiterzufliehen.
Es geht ihm und ihnen jetzt – kurz gefasst – daraum, den ort in der Polarregionb auszusuchen, auf den Strindbergs Stern stets verweist, wenn er „aktiviert“ wird.
Dazu fahren sie – getarnt als Touristen – mit einem russichen Eisbrecher-Abenteuer-Schiff los, lernen an Bord bald einen sehr sehr alten und sehr sehr mysteriösen Argentinier kennen, der sich – sagen wir mal Hintermann der ganzen Suche nach den beiden Teilen vonm Strindbergs Stern entpuppt.

Dann wird’s ziemlich mystisch – gemeinsam mit dem Argentinier stöbern unsere heldne das „Tor zu einer anderen Welt“, als den Punkt, auf dne Strindbergs Stern verweist, auf – eine Art Tunnel in die Erde. Alsbald sind dann auch wieder die Deutschen zur Stelle (wenigstens die, die die Explosion überlebt haben) und stellen unsere Heldencrew unten in einer mythischen Halle vor einem Ding, das der Beschreibung nach so etwas sein muss, wie wir es bei „Stargate“ jede Woche auf RTL2 sehen könne.
Spätestens hier habe ich aufgegeben, die Geschichte nach logischen Verbindungen abzuklopfen – es gibt ein mythsichen Transitionserlebnis unseres Helden, der sich dann am Ende wieder auf der wirklich Erde befindet und glatt aus der Story rauskommt.

Fazit: Strindbergs Stern ist ein crossover von Action-Thriller, Mystery-Thriller und Fantasy, gespritzt mit einem Schuss Skandinavienkrimi und einer Dekoration aus ein paar Splittern Reiseführer.. Die Geschichte bietet wenig Identifikationspunkte für Leser, die einen straken helden suchen, die vielleicht doch etwas „character“ wünschen, um sich in einer Geschichte treiben zu lassen. Stattdessen fährt Jan Wallentin ein ums andere Mal europäische Geschichte als Hintergrund für seine Story auf, ohne dass irgendwie klar würde, warum er diese aufwändige Dekoration eigentlich braucht. Anders herum gesagt besteht das Buch zu zwei Dritteln nur aus dieser Dekoration und das letzte Drittel ist ein arg konventionelles Thriller-Abenteuer. Erkenntnisgewinn vermittelt es NULL, und unterhaltsam ist es eigentlich nur in Grenzen.

Over and out

Selbstversuch: Jan Wallentin - Strindbergs Stern 2/3


Was bisher geschah:
Teil 1

Kapitel 11 bis 16

Jetzt wird aber Tempo gemacht. Auftritt unseres Helden – Don Titelmann. Der ist „Mythologe“, also so eine Art Kreuzung von Robert Langdon und Indiana Jones, (oder der illegitime Sohn von Stephen Hawking und Lara Croft? Irgendsowas jedenfalls) Don ist dauernd auf Drogen. Die schleppt er in seinem Täschen mit sich rum, die Aufzählung aller Tabletten nimmt zehn Zeilen in Anspruch: Apodorm, Ketogan, Dolcontin, Medikinet, Xanor, Haldol, Modiadal, Subutex und so weiter – da muss man nicht Medizin studiert haben, um zu begreifen, dass unser Held ein bisschen neben der Spur ist. Aber ansonsten kann er – wie eigentlich jeder Held – ein davonrasendes Motorrad (mit dem die Mörderin der Tauchers abhaut) allein am Geräusch identifizieren: „großer Boxermotor mit niedrigem Schwerpunkt. Ein vibrationsloser zweizylindriger Viertakter, der bei 8000 Umdrehungen eine maximale Geschwindigkeit von weit über 250 Stundenkilomtern erreichen konnte. Eine Maschine, die von den Deutschen entwickelt wurde.“ Na – hätten Sie's gewusst? - eine BMW.
Eigentlich wollte Don Titelmann mit dem toten Taucher über das geheimnisvolle Kreuz aus dem Bergwerk sprechen (das die Mörderin mitgenommen hat, die damit derzeit auf ihrer superschnellen BMW gen Deutschland rast), aber jetzt hat er's erstmal mit der Polizei zu tun, die ihn – ich kürze das jetzt mal ab – samt seiner prompt aufgetauchten Anwältin in Stockholm den Deutschen übergibt. Bitte wem?
Ja, den Deutschen.
Die werden von Herrn Eberlein repräsentiert, der in einer lange (und ich meine wirklich LANGEN) Erklärung erzählt, was es mit dem verschwundenen Kreuz auf sich hat: Strindbergs Stern. Das Kreuz wurde von Sven Hedin in einer tibetanischen Wüste gefunden, der ließ es von einem Angehörigen August Stringbergs (ja, DER Strindberg) untersuchen, der dabei eine seltsame Reaktion des Keuzes entdeckte: unter Hitze fing es offenbar an, irgendeine halbkugelförnmige Projektion von Sternenhimmel und Nordhalbkugel mit einem mysteriösen Hinweis auf eine Polarregion zu erzeugen.
Höchst seltsam, das alles.
Okay, jemand hat geschrieben, „Strindbergs Stern“ sei sowas wie der „Da Vinci Code“ für Schwedenkrimi-Fans. Könnte hinkommen. Mit einer Prise Indiana Jones. Oder doch eher Kalle Blomkwist?
Ich bin jedenfalls gespannt, wie es weitergeht.

Lieblingssatz: „Nach der langen Fahrt zurück in den Nebel des Teuteburger Waldes an der Grenze zu den stinkenden Industriegebieten im Tal der Ruhr hatte sie noch nicht ausschlafen können.“
Herr Wallentin – das mit den „stinkenden Industriegebieten“ finden wir hier im Tal der Ruhr NICHT LUSTIG!

weiter zu Teil 3

Selbstversuch: Jan Wallentin - Strindbergs Stern 1/3

Strindbergs Stern
Prolog
(weil solche Bücher auch immer einen PROLOG haben)
Die Promo, mit der „Strindbergs Stern“ daherkommt, ist einigermaßen größenwahnsinnig: ein grellroter Umschlag fürs Rezensionsstüpck, drinnen neben dem Buch eine Art 3-D-Guckkastengerät aus Pappe zum Selberbauen, damit man den Buchtrailer im Netz betrachten kann (In 3D! Wow),
Laut Klappentext ist „Strindbergs Stern“ DAS BUCH. Worum es geht, darüber steht eigentlich nichts im Klappentext. Nur eben, dass es DAS BUCH ist, also so etwas wie die BIBEL oder HARRY POTTER UND DAS GEHEIMNIS DES KRISTALLSCHÄDELS.
Okay, schaun wir mal....

Kapitel 1 bis 10
Natürlich gibt es einen Prolog. Der ist einigermaßen unverständlich... pardon: mysteriös aufgezogen, lässt aber die Vermutung zu, dass der dort auftretende Don Titelmann später mal der Held der Geschichte sein wird.

Dann geht’s los mit Erik Hall, einem Freak, einem „urban explorer“, also jemand der hobbymäßig in zugelaufene Bergwerkstollen taucht. Das ist interessant und der Tauchgang in das alte Kupferbergwerk in der Nähe von Falun ist spannend erzählt. Und sorgfältig. Es geth rein, es geht runter, es wird mysteriös, es wird spannend, es wird grudlig. Und klaustrophisch, als die Gänge enger werden – bis unser Tauchter dann auf einmal eine Höhle findet, und darin einen seltsamen Opferstein, ein seltsames Kreuz oder so und... eine Leiche.
Das wird grell und sehr effektsicher inszeniert, aber wir haben nichts anderes erwartet, denn schließlich ist „Strindbergs Stern“ ein Thriller, beziehungsweise laut promo mehr als das, also nicht sowas billiges wie HARRY HOLE UND DAS DREIBEINGE MONSTER, sondern eher etwas wie MATER DOLOROSA – SCHREI, WENN DICH DER BISCHOF KÜSST.
Die nächsten Kaptel vergehen dazu vergleichsweise unspektakulär: es wird überwiegend erzählt, wie diePresse auf diesen seltsamen Leichenfund reagiert und sich langsam herausstellt, dass der Tote gar kein aktuelles Todesopfer ist (worauf sein gut erhaltener Zustand schließen ließ) sondern eine höchst alte, in Kupfervitriol konservierte Leiche, Nach diesem weiten Bogen wenden wir uns wieder unserem tauchenden Freund Erik zu, dem die italienische Journalistin, der er ein Interview über die Umstände seines Fundes gibt nicht so komisch vorkommt wie dies auf den Lleser wirkt. Und ich sag noch: Pass auf, Erik, da hat sie ihn auch schon erwischt, mit einer abgebrochenen Flasche, mitten ins Gesicht, und bei der Schilderung der Verletzung schenkt uns der Autors NICHTS.

Was auf diesen ersten fast hundert Seiten auffällt: das ist alles solide und durchschnittlich spannend erzählt. Es geht nicht so ruck-zuck wie in den amerikanischen Thrillern zu, wo spätestens auf Seite 30 der Held aufwacht, sich Kaffee macht und in den Kampf zieht.
So richtig neu ist allerdings auch nichts an diesem Einstieg – die Tauchszene zielt ganz klar auf unsere Klaustrophie und der konservierte Tote – nun ja: irgendwas mysteriöses müssen wir ja haben, am Anfang, nicht wahr?
Worum es wirklich gehen wird, ist noch nicht klar. Sekten? Riten? Kulte? Weltverschwörung? Keine Ahnung.
Wir werden sehen.

Lieblingssatz – es geht um ein Mobiltelefon, mit dem jemand den Fund des Toten melden will: „Und während er weiterhin versuchte, seinen Brechreiz zu unterdrücken, begannen seine Finger nach den drei Knöpfen zu suchen, die mit eins, eins und zwei beziffert waren.“
Was fällt uns daran auf – abgesehen davon, dass schwedische Handys offenbar gleich zwei Tasten (nicht „Knöpfe“) haben, die mit der Ziffer „eins“ versehen (und nicht „beziffert“) sind?
Genau – drei Fehler in einem Satz – und das in einem Buch aus dem Verlag, in dem mal Kafka erschienen ist.

weiter zu Teil 2