31.12.08

Suanne Mischke: Wölfe und Lämmer

Mehr als nur Land-Idylle

Vier Menschen auf einem ausgebauten Bauernhof im Norddeutschen. Zwei Pärchen, alte Freunde, beautiful people allesamt: hier hat sich das klassische Bürgertum unserer Tage versammelt: Robin, der verhinderte Schriftsteller mit seiner Freundin Klara, die heimlich Wölfe züchtet, um sie dann ebenso heimlich für eine mysteriöse Tierschutzorganisation in deutschen Wäldern auszuwildern.
Barbara, die ihre Erfüllung als Lebensabschnittsgefährtin von Hannes findet, dem Fernsehrichter, der unter der Woche in Hamburg zu tun hat und sich da die eine oder andere erotische Abwechslung gönnt.

Idylle also, vordergründig, brüchig. Idylle, die von dem kleinsten Windstoß in Unordnung gebracht werden kann. Wie zum Beispiel von Nasrin, der jungen Türkin, die Barbara über den Weg läuft und behauptet, sie noch aus ihrer Zeit als Kindergärtnerin zu kennen. Als typischer Gutmensch hilft Barbara Nasrin natürlich, weil diese sich angeblich vor ihrer Familie verstecken muss.
Ist es Zufall, dass zur gleichen Zeit eine Journalistin heftig gegen Barbaras Gefährtin Hannes schießt? Der Pappa Gnädig des Fernsehgerichtes soll sich noch zu seiner Zeit als echter Richter mit harten Urteilen gegen ausländische Jugendliche als rechter Populist profiliert haben.

Erst einmal in Unordnung geraten, kann die Idylle nicht mehr länger aufrechterhalten werden, schon gar nicht, als plötzlich eines Nachts auf dem Hof ein Schuss fällt und ein Toter vor der Tür liegt. Wir Leser wissen, dass es der Liebhaber der Wolfsfreundin Klara ist, aber wir wissen nicht genau, ob es wirklich Robin war, der ihn erschossen hat.

Vier Leute und eine Leiche - damit beginnt dann in Susanne Mischkes Roman die Kriminalgeschichte etwas ins Absurde abzudrehen. Denn wie soll man so ohne weiteres glauben, dass die vier sich kaltblütig entschließen, den Toten verschwinden zu lassen - indem sie ihn einfach den Schweinen zum Fraß vorwerfen? Der Thriller wird zur Farce - und die reißt letzendlich allen Beteiligten am Landleben die Maske der Bürgerlichkeit vom Gesicht.

Susanne Mischke
Wölfe und Lämmer
Piper 4236

16.12.08

Silvia Roth: Querschläger

Ein Fall für Kommissar Henrik Verhoeven und Kommissarin Winnie Heller.

Wiesbaden, 18 September, Vormittags. Ein maskierter junger Mann betritt das Clemens Brentano Gymnasium. Er hat eine Gewehr dabei und eine automatische Pistole, eine Glock. Er hat sich vorgenommen, ein Blutbad anzurichten - und am Ende ungeschoren davonzukommen. Er will die Polizei glauben machen, ein Mitschüler sei der Attentäter gewesen. Ein Mitschüler, den er in die alte Turnhalle bestellt hat, wo er ihn zwingen wird, mit ihm die Kleidung zu tauschen, um dann einen Selbstmord zu fingieren.
Soweit, so dramatisch ist der erste Höhepunkt in dem Thriller QUERSCHLÄGER von Silvia Roth.

Doch die Autorin zieht den Fall nicht so sehr am Spektakulären auf - sie vergräbt sich nicht in Ursachenforschung, versucht nicht, den Motiven von schulischen Amokäufern nachzuspüren, sondern konzentriert sich im folgenden auf ihre beiden Hauptfiguren, die den Kommissar Henrik Verhoeven und seine junge Kollegin Winnie Heller von der Wiesbadener Kripo, die die SOKO zum Fall Brentano-Gymnasium leiten. Was es bei einem Amoklauf noch aufzuklären gibt, scheint recht übersichtlich - bis sich die Hinweise immer weiter verdichten, dass neben dem Amokläufer noch ein zweiter Täter in der Schule gewesen ist, der nicht nur den Schüler entsprechend manipuliert hat, sondern sich aich dessen Wahnsinnstat für siene eigenen Zwecke nutzbar gemacht hat.

Silvia Roth ist eine neue Stimme in der deutschen Krimiszene - QUERSCHLÄGER ist ihr zweiter Roman mit den Kommissaren Verhoeven und Heller: ein packender, souverän erzählter Unterhaltungsroman.

Silvia Roth
Querschläger
Hoffmann und Campe
Hardcover

15.12.08

Nicci French: Bis zum bitteren Ende

Es geht ganz schnell, so ein Unfall mit dem Fahrrad. Astrid Bell ist Fahradkurierin in London, und sie erlebt es am eigenen Leib. Als die nach der Arbeit heimkommt in die Maitland Road, wo sie mit Freunden in einer WG lebt, passiert es: einen Moment nicht aufepasst, eine Autotür geht auf und Astrid macht den Abflug.

Zum Glück ist ist nicht viel passiert, die Autobesitzerin ist eine Nachbarin, die sich sofort wortreich entschuldigt. Alles nochmal gutgegangen. Denkt Astrid. Bis die Nachbarin zwei Tage später ermordet aufgefunden wird.

Die Polizei nimmt Astrid und ihre Mitbewohner aus der WG unter die Lupe, findet aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die etwas mit dem Tod der Frau zu zun haben. Alles noch mal gutgegangen.
Könnte man denken.

Doch soll Astrid als Kurierin bei einer Kunden in einem der besseren Bezirke der London ein Päckchen abholen. Die Kundin macht nicht auf - Astrid schöpft Verdacht und findet die Frau: tot, ermordet, verstümmelt.
Das ist kein Zufall mehr, das denkt sich auch die die Polizei. Genau wie Astrid meint man, dass der Täter wohl unter den Mitbewohnern von Astrid WG in der Maitland Road zu suchen ist.

-Miles, der Vermieter, der mal mit Astrid zusammen war und jetzt Leah heiraten will.
-Owen, der cooole Fotograf.
-Davy, der Mitläufer, der bloß icht anecken möchte.
-Pippa, die die Männer nimmt wie sie kommen und jede Menge Spaß auf ihrer Bude hat.
-Mick, der große Schweiger und
-Mel, die Anwältin.

Allesamt eine Gruppe von Twenty- und Thrirty-Sometings, aus denen man ein Generationsportrait zeichnen könnte - was man aber in einem Krimi nicht unebdingt muss. Es bleibt, so scheint es, also bei der Geschichte von Astrid, die von ihr selbst erzählt wird: Wie die WG-Bewohner mit den Morden fertig werden, was es für Eifersüchteleien wegen der verschiedenen Bettgeschichten gibt und und vor allem: wie man mit der Kündigung umgeht, die Hausbesitzer Miles ausspricht: Alle sollen ausziehen, weil er mit Leah dort allein wohnen möchte. Ja - the times are a-changing.
Und dann passiert noch ein Mord.

Und plötzlich wird alles ganz anders, mit einem erzählerischem Kniff bringt das Autorenteam Nicci French schlagartig neue Spannung in ihre erzählte Kriminalgeschichte.

Wieder einmal versierte Spannung von Nicci French. Lebensnah und mit viel Sympathie für die verschiedenen Personen erzählt.

Nicci French
Bis zum bitteren Ende
C. Bertelsmann

14.12.08

Wolfgang Schorlau: Brennende Kälte

Georg Dengler ist Wolfgang Schorlaus Serienheld - ein ehemaliger BKA-Zielfahnder, der jetzt in Stuttgart als Privatdetektiv arbeitet, gerne gut isst und auch gerne mit seiner Freundin Olga, eine Taschendiebin, zusammen ist.

Soweit, so klassisch. Denglers Fälle haben allerdings wenig mit dem Private-Eye-Mythos zu tun - es sind immer Expeditionen in die Porblemfelder unseres Staates und unserer Gesellschaft, Denglers Fälle sind - so sagt man jedenfalls - Politthrillers.

Dabei fängt diesmal wirklich alles wie in einem klassischen Privatdetektivroman an: Sarah Singer will, dass Dengler ihren Mann sucht. Der war als Berufssoldat mit der Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt und zeigte sich nach seiner Rückkehr seltsam verändert, aggressiv. „Mein Mann ist krank und gefährlich.", sagt Sarah Singer.

Dengler setzt sich auf die Fährte des verschwundenen Soldaten - und auch auf eine Spur aus seiner Vergangenheit: Denn er ist sich sicher, dass er Sarahs Mann von früher kennt, aus Kindertagen, als sie beide im Dorf, in dem sie aufwuchsen, miteinander gespielt haben.
Doch bevor er dieses alte Geheimnis lösen kann, bekommt er es mit den aktuellen Dimensionen des Falles des Soldaten Singer zu tun.

Steckt er hinter den mysteriösen Toten, die bald in der Umgebung von Stuttgart auftauchen: Menschen, die innerlich verbrannt zu sein scheinen? Haben sie etwas mit einer neuartigen Mikrowellenwaffe zu tun die die Amerikaner in Afghanistan testen, und für die ein deutscher Waffenkonzern einen Entwicklungsauftrag bekommen möchte? Mit allen Mitteln?

Think global, act local: Schorlau zeigt, wie sich die weltpolitische Thriller-Intrige auch auf die deutsche Provinz auswirkt.

Wolfgang Schorlau
Brennende Kälte
KiWi Taschenbuch

13.12.08

Nina Kramer Ein Leben ohne mich

Thrillerthema Embryonenhandel: Das Geheimnis der Schneeflocken

Schwer verletzt, mit verbrannten Fingerkuppen, die Haare rasiert, bewusstlos. So wird eine Frau in Schweden gefunden. Sie heißt Romy Cohen, aber das weiß sie nicht - sie hat ihr Gedächtnis verloren. Und damit auch ihre Gefühle, die Fähigkeit zur Empathie, zu Mitleid, Hass, Freude, Liebe. Nur ihre Instinkte sind noch intakt: Reaktionsschnell ist sie, extrem schlagkräftig und hochintelligent.

Der Mann, der sie nach Hamburg zurückholt sitzt im Rollstuhl - und sie muss ihm glauben, was er ihr sagt: dass er Journalist ist und sie Rechercheurin bei ihm war, für eine Story über Embryonenhandel Material zusammengetragen hat. Dabei ist sie offenbar auf etwas gestoßen, was einigen Leuten nicht in ihre Pläne passt. Etwa dem norddeutschen Neonazi Sieger und seinem "Nordischen Kreis", in dem die Gedanken der Eugenik und Rassenforschung des Dritten Reiches am Leben erhalten werden. Oder einigen Ärzten, die Frauen gegen viel Geld zu künstlich erzeugten Schwangerschaften verhelfen.
Mit all diesen Zeitgenossen bekommt es Romy Cohen jetzt bei der Suche nach sich selbst erneut zu tun, und das ist nicht ungefährlich.

Was sie - und auch die Autorin dieses Thrillers - aber neben aller Identitätssuche am meisten beschäftigt, ist die Frage: Was ist Leben, was macht es einzigartig. Und: darf der Mensch überhaupt dieses Leben mit Samenspenden, gehandelten Embroynen oder Leihmuttermutterschaften manipulieren?
Dabei kommt Romy Cohen dem Geheimnis der "Schneeflocken" auf die Spur, den "schlafenden Seelen" der Embryonenkinder, die in den Tiefkühlschränken der Mediziner darauf warten, leben zu dürfen.

Nina Kramer setzt in ihrem "Ein Leben ohne mich" ihre hochemotionale Heldin in eine thrillerschnelle Krimi-Geschichte mit viel Nachdenklichem und Nachdenkenswertem zum Thema Reproduktionsmedizin. Das ist eine gewagte Mischung, aber sie funktioniert ganz ausgezeichnet, gerade weil hier eine Autorin das Genre "Krimi" nicht nur als reine Spannungsmaschine versteht, sondern als wirklichen Roman, als Platz für eine Geschichte. von Menschen und ihren Schicksalen.

Nina Kramer:
Ein Leben ohne mich,
Pendragon
Erschienen im Juni 2008

12.12.08

Ulrich Magnus Hammer: Die Akte Serkassow

Mord mit Polonium:
Ungewöhnlicher Spionageroman

Wir erinnern uns noch an den Tod des russischen Ex-Geheimdienstler und Journalisten Litwinenko, der im Jahr 2006 in London an einer Vergiftung mit Polonium 210 starb - ein Vorfall, der alle Züge eines Geheimdienstthrillers trug: Musste Litwinenko sterben, weil er Wladimir Putin gefährlich werden konnte? Steckte der KGB-Nachfolgedienst FSB hinter dem Anschlag mit dem ebenso gefährlichen wie seltenen und teurem Polonium? Oder war es eine über die Bande gespielte Intrige, mit der der russische Staatschef diskreditiert werden sollte?

Jetzt gibt es einen Geheimdiensthriller, der genau dieses Szenarium aufgreift: Die "Akte Serkassow" von Ulrich Magnus Hammer nimmt den Fall Litwinenko als Vorbild für eine extrem spannende Polit- und Geheimdienststory aus der Gegenwart. Das Besondere an diesem fulminanten Debütroman des bildenden Künstlers und Musikers Ulrich Magnus Hammer: Es handelt sich um einen Dokumentenroman. Will sagen: alles, was wir zu lesen bekommen, sind Berichte, Protokolle, Zeitungsmeldungen etc, die erst in der Montage den Blick auf die spannende Geschichte freigeben.

Im Mittelpunkt steht "Dostojewski" - eine Art privater Agent, offenbar ehemaliger Stasi-Mann - der von einem mysteriösen "Puschkin" beauftragt wird, die Hintergründe eines Anschlages auf den russischen Dissidenten und Journalisten Serkassow aufzudecken.
Serkassow - er lebte unter der Deck-Identität eines Künstlers in Deutschland - war nach London geflogen, um sich mit einigen Leuten zu treffen, die ihm offenbar geheime Informationen über die Machenschaften des russischen Präsidenten Romanow zuspielen wollten.
Als Serkassow dann in Berlin aus dem Flugzeug stieg, war er mit Polonium 210 vergiftet - und stirbt nach kurzer Qual in der Charité. Währenddessen wirft "Dostojewski" im Auftrag von Puschkin sein Netz aus, um alle Informationen abzufischen - er erpresst, er betrügt, er bezahlt, er ist bei seinem Job ungeheuer effektiv. Ein Roman, der mit seiner ungewöhnlichen Form seine Geschichte noch spannender erzählt als sie es ohnehin schon ist. Man muss dieses "Dossier" nur aufmerksam lesen, um den Zusammenhang zwischen den Dokumenten und der Wirklichkeit im neuen Russland zu erkennen.

Ulrich Magnus Hammer:
Die Akte Serkassow
Fredebold und Fischer
Hardcover.

11.12.08

Schicksale hinter den Pragrafen

Deutsche Anwaltskrimis abseits der Gerichtssal-Dramatik

Wenn Anwälte Krimis schreiben, dann geht’s wie bei Scott Turow ums große Ganze im Gerichtssaal oder wie bei John Grisham ums intrigante Klein-Klein in amerikanischen Großkanzleien.
Einspruch. Es geht auch anders.

Beweisantrag Nummer Eins: Klaus Erfmeyer, Anwalt aus Dortmund, hat seinen verdrucksten Helden Stephan Knobel in bislang zwei Romanen bis zum Sozius einer mittelständischen Dortmunder Kanzlei hochgeschrieben - und dabei in der Gegenbewegung Knobels Ehe derart hoffnungslos zerrüttet, sodass nun im dritten Band die Scheidung ansteht.
In "Geldmarie" verschwindet Knobels Freundin (und Scheidungsgrund) Marie nach einem Besuch bei ihrem Germanistik-Professor. Schwierig wird die Suche nach ihr, weil der Professor tot ist und die Polizei nicht so recht an einen plötzlichen Herzinfarkt glauben will. Der Fall schmiedet Knobel mit einem Ekelpaket von Kollegen zusammen und entwickelt sich abseits aller Juristerei zu einem Psycho-Thriller voller menschlicher Tragik.

Beweisantrag Nummer Zwei für ungewöhnliche deutsche Juristen-Krimis führt ins Weser-Elbe-Dreieck, da wo das Land flach und die Menschen bodenständig sind. Hier hat der Anwalt Wilfried Eggers seinen literarisches alter ego Peter Schlüter angesiedelt. Man kann sich diesen Kleinstadtanwalt so richtig vorstellen, ein Anfangsvierziger, der sich mit den Verhältnissen am Amtsgericht arrangiert hat, ein bisschen gefrustet, ein bisschen resigniert, ein bisschen angepasst. Und ausgerechnet er - "keine Asylsachen, kein Ausländerrecht, keine Strafprozesse" - bekommt es gleich mit zwei Fällen zu tun, die ihn am Ende bis tief nach Anatolien führen, wo die Menschen unter dem titelgebenden "Paragraf 301" ("Beleidigung der türkischen Nation") des türkischen Gesetzbuches mehr leiden als leben.

Da ist einmal Emin Gül, dessen Auslieferung in die Türkei Schlüter abwenden soll - weil Gül dort angeblich wegen seiner Beteiligung an einem Pogrom gegen Aleviten verfolgt wird. Auf der anderen Seite gerät Schlüter auch an denFall von Heyder Cengi, einem Türken alevitischen Glaubens, der wegen - sagen wir mal "fahrlässiger Tötung" - gesucht wird und dem Verurteilung die Abschiebung droht. Zwei Fälle, die zu Fixpunkten in diesem ungewöhnlichen Anwaltskrimi werden, der angenehm breit und bunt erzählt ist, ganz ohne Gerichtssaal-Duelle, dafür mit viel norddeutscher und türkischer Atmosphäre, in die immer wieder kleine, beeindruckende Charakterstudien eingewebt sind, die diesen Krimi abseits seiner aufklärerischen Anlage auch zu einem großen Menschenbuch machen.

Klaus Erfmeyer:
Geldmarie
Gmeiner

Wilfried Eggers
Paragraf 301
Grafit Hardcover

10.12.08

Philipp Moog: Lebenslänglich

Serienmörder - weichgespült: Killer in der Lebensfalle

Von Reinhard Jahn

Er ist nicht wie der smarte Nihilist Tom Ripley, er ist auch nicht wie der blutrünstige Yuppie-Killer Patrick Bateman aus dem "American Psycho" von Bret Easton Ellis. Der Mörder, über den der Schauspieler Philipp Moog in seinem Debütroman "Lebenslänglich" schreibt, ist ein kleiner Münchner Bankkassierer.
Ein Nichts, eine Null, einer, den man nicht zur Kenntnis nimmt.
Ein kleiner Angestellter, der im Aquarium seiner verglasten Kassenbox sein kleines, unbedeutendes Leben lebt.
Der gefangen ist in einem unansehnlichen Körper: "Meine Oberschenkel reiben stoßend aneinander, mein Bauch versucht meinen Körper mit kreisenden Bewegungen aus dem Gleichgewicht zu bringen, während meine Hängetitten ihren ganz eigenen Rhythmus gefunden haben und mir abwechselnd auf die Wampe klatschen. Ich möchte das nicht in Zeitlupe sehen."

In seinem Tagebuch - das wir lesen - offenbart sich sein ganzes Leiden an seiner verhassten Existenz, dem Leiden daran, nicht wahrgenommen zu werden.
Zugleich ist dieser Tagebuch-Krimi auch ein messerscharfes Protokoll, wie sich dieses kleine Nichts in seiner Welt aus Selbstekel und Selbsttäuschung verläuft und alles schließlich in einer Serie von Morden endet.

Denn unser Held von der traurigen Gestalt glaubt, er könne die Zuneigung seiner beiden in aller Heimlichkeit verehrten Kolleginnen Daphne und Yvonne gewinnen, indem er sie einfach von ihren sportlich-gestählten Liebhabern befreit. Gedacht, getan - ein kleiner Stoß im richtigen Moment oder ein Stich mit der Fonduegabel in den richtigen Körperteil - und schon wähnt sich der kleine Kassierer den beiden Angebeteten ein Stückchen näher.
Doch weit gefehlt - Daphne und Yvonne haben nicht besseres zu tun, als sich den Ersatz für ihre dahingegangenen Gespielen wieder nur in der Bodybuilder-Liga zu suchen.

Philipp Moog erzählt das tragische Schicksal seines Helden unaufgeregt, lässt seine Hauptfigur aus sich selbst sprechen und drängt sich nicht mit Deutungen seiner Geschichte auf. Das wirkt suggestiv, macht nachfühlbar und nachvollziehbar, wie jemand sich selbst eine Lebensfalle stellen kann. Besonders intensiv teilt sich das in der vom Autor selbst eingelesenen Hörbuchfassung mit - faszinierend, wie Philipp Moog, als Synchronsprecher gelegentlich auch als deutsche Stimme von Orlando Bloom zu hören, da in seine Figur hineinkriecht.

Philipp Moog:
Lebenslänglich
dumont Hardcover

Hörbuch bei PATMOS

9.12.08

Sebastian Fitzek: Der Seelenbrecher

Es ist der 23 Dezember - und wir werden Zeuegn eines Experimentes, das ein Psycho-Professor mit zwei Studenten starte: die jungen Leute bekommen eine "Patientenakte" zu lesen, in der es um die Ereignisse geht, die an einem - Zufall? - 23. Dezember in einer psychiatrischen Klinik in Berlin gegeben hat.

In dieser Akte erzählt ein Patient der Teufelsberg-Klinik. Er heißt Caspar, bzw so nennt er sich, denn mehr weiß er nicht von sich: Mit einer retrograden Anmesie ist er vor ein paar Tagen halb erforen im Schnee vor der Klinik aufgefunden worden.

Und jetzt, am Tag vor Heilig Abend, spitzt sich die Situation in der Klinik zu. Draußen tobt ein Schneesturm wie ihn Berlin noch nicht erlebt hat (und wahrscheinlich auch nie erleben wird), die Notbesatzung der Klinik ist von der Außenwelt abgeschnitten und nach einigen mysteriösen Ereignisse macht sich nicht nur bei Caspar der schreckliche Verdacht breit, dass der SEELENBRECHER in der Klinik ist - ein gewissenloser Serientäter, der bisher drei Frau ins einer Gewalt hatte und sie so quälte, dass sie seither in einer Art Wachkoma liegen.Und es kommt, wie es in einem Thriller, der nach dem Grundmodell von Agatha Christies "Zehn kleinen Negerlein" konstruiert ist, natürlich kommen muss: den ersten Morden in der Klinik folgen weitere, bald verdächtigt jeder jeden und mit jedem Schachzug, den der SEELENBRECHER aus dem Hintergrund macht, wird die Lage für die Überlebenden auswegloser.

Sebastian Fitzek zieht im SEELENBRECHER alle Register des Cliffhanger-Handwerks: Schnelle Schnitte, mysteröse Ereignisse,eine schreckliche Bedrohung und vor allem die gnadenlosen vorwärtsgetriebene Action. Das ist kein normaler Thriller mehr, das ist reiner Spannungs-Rock'n Roll!

Sebastian Fitzek
Der Seelenbrecher
Knaur TB

8.12.08

Peter Abrahams: Gerissen

Ivy Seidel ist Schriftstellerin - oder besser: sie will eine werden. Bis dahin kellnert sie in Verlaine's Bar und deshalb nimmt sie auch den Stellvertreter-Job an, den ihr Kollege Joel ihr zuschustert: den Schreibkurs für Häftlinge in der Haftanstalt DANNAMORA, weit draußen vor der Stadt. Eine fremnde Welt, in die Ivy da eintaucht: Sicherheitskontrollen., die kalte Knastatmosphäre und nicht zuletzt ihr Schreibkurs:
-El Hassam.
-Morales.
-Perkins.
-Balaban.

Balaban überlebt den Kurs nicht, er wird Opfer einer Geföngnisauseinandersetzung. Sowas passiert hier dauernd, sagen die Wachen. Für Balaban kommt Harrow in den Kurs - und der schreibt Geschichten, die.... seltsam sind. Seltsma gut und seltsam wirklich auf einen Überfall bezogen, wegen dem er einsitzt. Die anderen, mit denen er angeblich ein kleines Spielcasino überfallen hat, sind entweder tot oder verschwunden oder im Zeugenschutzprogramm. Und nicht nur die Beteiligten sind verschwunden - die Beute ist auch niemals wieder aufgetaucht.
Ivy will mehr über Harrow wissen und setzt sich auf die Spur des Überfalls. Kann es sein, dass Harrow gar nicht daran beteiligt war? Dass man ihn hingehängt hat, oder zum Sündenbock gemacht hat?

Gradlinig, intensiv, mit Dialogen, die auf den Punkt geschrieben sind. Ein Verwirrspiel, das von Seite zu Seite spannender wird - bis eines feststeht: hier kann man niemandem trauen.

Peter Abrahams
Gerissen
Knaur

7.12.08

John Misto: Des Teufels Stimme

Es ist eine regnerische, stürmische Nacht als Constable Greg Raine und seine Parterin Nikki zum Frauenkloster von St. Michael gerufen werden - ein Einbruch, mehr ist scheinbar nicht passiert.
Doch es gibt einiges, was Greg aufmerksam werden lässt - denn er kennt St. Michael gut - schließlich hat er hier bei Mutter Dominic und ihren Nonnen einen Teil seiner Kindheit verbracht.
Und daran nicht nur die angenehmsten Erinnerungen.

Jetzt fragt sich Greg, ob der Einbruch mit Vandalismus etwas mit dem Verschwinden der dreijährigen Anna Brennan zu tun hat, die hier in St, Michael am Rande des Weihnachtsgottesdienes verschwunden ist. Denn bei den Fingerabdrücken, die nach dem Einbruch im gesichert wurde, ist einer, der zu Anna Brennan passt. Und es ist kein Abdruck, den der Eindringling hinterlassen hat, sondern er stammt von einer jungen Nonne: Schwester Martha, angeblich Kind einer Prostituierten und im Kloster aufgewachsen.

Fingerabdrücke lügen nicht - ist also Martha die verschwundene Anna? Obwohl Gregs Vater - pensionierte Polizist und seinerzeit an maßgeblicher Stelle mit dem Fall befasst, beschwört, dass das Kind tot sei. Beweisen kann er das freilich nicht - also nur Gerede eines schwer krebskranken, totgeweihten Mannes?

Für Constable Greg Raine wird der Fall zur persönlichen Sache, als seine Partnerin und Freundin Nikki bei einer Explosion ums Leben kommt. Kann es sein, dass eigentlich er in der Feuerhölle sterben sollte?

John Misto, erfahrener australischer Theater- und Drehbuchautor zieht in seinem Debütthriller DIE STIMME DES TEUFELS die Spannungsschraube ganz subtil immer weiter an. Je weiter wir Greg Raine bei seinen Ermittlungen folgen, desto mehr verlieren wir - genau wie er, den Boden unter den Füßen. Alles kreist um die Kirche und das Kloster von St. Michael, wo sich offenbar schon vor Jahren die Schicksale aller Beteiligten untrennbar miteinander verflochten haben - zu einem tödlichen Gewirr von Lebenslügen, Machtgier und Korruption.

Die Lösung dieses Durcheinanders führt Greg schließlich bis an die Grenze seiner Leidensfähigkeit - das Finale des Romanes lässt alle Vermutungen, die der Leser über die Zusammenhänge gehabt hat, ins Leere laufen und präsentiert eine Lösung, die die Bezeichnung "überraschend" wirklich verdient - allerdings nicht so ganz die Bezeichnung "glaubwürdig".

John Misto
Des Teufels Stimme
Fischer TB

Richard Stark: Fragen Sie den Papagei

Der Papagei gehört Tom Lindahl, einem Versager, der sich in einen kleinen Ort in Massachusetts zurückgezogen hat, um mit der Welt zu hadern, nachdem seinen Job bei der Rennbahn in der Nachbarstadt verloren hat. Tom Lindahl ist eine tickende Zeitbombe, aber leider ist Parker, der Gangster, auf ihn angewiesen. Denn Lindahl gewährt ihm Unterschlupf, als Parker nach einem schiefgelaufenen Raubüberfall auf der Flucht durch die Wälder von Massachusetts ist.

So ein Gangster, denkt sich Lindahl, ist genau der richtige Partner für seine Rache an der Rennabhn. Denn Lindahl hat sich einen Coup ausgedacht, wie man die Wochenendeinnhame aus den Büros dort klauen kann.

Interessiert Parker der Coup? Man weiß es nicht genau, und das macht einen Großteil der Spannung dieses perfekt geschriebenen Thrillers aus, mit dem Richard Stark alias Donald E. Westlake nach vielen Jahren seine Serie um den Berufsverbrceher PARKER wiederbelebt. Parker ist amoralisch, egoistisch, knallhart, aber irgendwie doch kein schlechter Kerl. Ein Profi im Raubgeschäft, seinerzeit als er vor mehr 25 Jahren zum ersten Mal in der Krimiszene aufzauchte ein absolutes Novum. Der bad Guy als Held, das Verbrechen als Beruf - die Unterwelt mit all ihren Verflechtungen als Gegenentwurf zu unserer Gesellschaft - das funktioniert jetzt und heute in diesem neuen PARKER-Roman immer noch genauso perfekt wie damals. Genau wie der spezielle Richard Stark-Stil, in dem Westlake seine Parker-Geschichten erzählt. Sprache auf den Punkt gebracht, kein Wort zuviel und keins zuwenig, und das alles gewürzt mit Dialogen, aus denen man die Stimmen von Clint Eastwood oder Robert deNiro heraushört.

Mit dem Plan, in den Tom Lindahl seinen Partner in Crime Parker hineinzieht, steuert die Story Zug um Zug ihrem Höhepunkt entgegen, spannt uns auf die Folter, lässt uns mitleiden und mitfiebern mit Parker, dem Gangster. Oder mit der dunklen Seite in uns. Perfekte Krimi-Unterhaltung.

Richard Stark
Fragen Sie den Papagei
Zsolnay