26.4.08

Thomas Gifford: Ultimatum

Die Literaturagentin Natalie Rader steht eigentlich am Ziel ihrer Träume. Jung, erfolgreich, taff, kurz vor einem Millionendeal für ein Buch.

Da sieht sie beim Blick aus dem Büro einen Mann, der eine Waffe wegwirft. Nichts direkt ungewöhnliches in New York - aber dann wird Natalie von Sergeant Macphearson in eine Mordermittlung hineingezogen -bei der sie selbst ins Fadenkreuz des Killers gerät.
Eigentlich ein "Frauenroman", von Gifford auch unter Pseudonym ("Dana Clarins") veröffentlicht, ehe er mit ASSASINI zu Weltruhm kam. Eine straighte, spannungsvolle Geschichte mit sympathischen Menschen und einer Menge Insider-Klastch aus der New Yorker Verlagsszene.

Thomas Gifford
Ultimatum
Bastei Lübbe 15186

8.4.08

Minck & Minck: totgepflegt

Gewöhnlich geht es hier im Bochumer Krimi-Archiv ruhig zu. Doch dann kam Maggie Abendroth, Ende 30, hochambitioniert, hyperaktiv - und ausgestattet mit einer Überdosis jenes sentimentalen Sarkasmus’, der nur einer Gattung Mensch vorbehalten ist: den Drehbuchautoren von Fernsehserien. Ex-Drehbuchautorin im Fall von Maggie Abendroth. Denn sie hat ihr jüngstes Skript für einen großen Sender in Köln total in den Sand gesetzt.

"Ich hatte es wirklich komplett und final vermasselt. Würde mir jetzt BITTE ein mitfühlender Freund mit einem Samurai-Schwert aus zwölffach gefälteltem Damaszenerstahl den Kopf abschlagen, damit ich nicht so lange leiden muss?

Nein, keine Sorge, so schlimm kommt es nicht. Denn Maggie weiß, wo sie nach dem Fiasko steht: nicht nur knietief im Dispo und vor den Trümmern ihrer beruflichen Karriere, sondern auch vor einem neuen Anfang. Ausgerechnet in Bochum, in einer Souterrainwohnung, mit einem Fernseher mit 28er Bildschirm, einem leeren Kühlschrank, einer zugelaufenen Katze und einem Brief ihres freundlichen Betreuers vom Arbeitsamt:

"Ich sollte mich bei einer Firma namens Pietät Sommer vorstellen, als Bürokraft. Pietät bedeutete doch Bestattungsinstitut, oder täusche ich mich? Ich, Margret - genannt Maggie - Abendroth, 37 Jahre alt, sollt acht Stunden am Tag in einem Bestattungsinstitut verbringen?

Ja, das Leben springt hart um mit Maggie Abendroth, so hart wie das Leben eben spielt in einer Komödie. Im Büro der "Pietät Sommer" arbeitet sie quasi Auge in Auge mit Gevatter Tod...

"Pietät Sommer, Sie sprechen mit Margret Abendroth, was kann ich für Sie tun?"

...und lernt in Rekordzeit nicht nur alles über Feuer- und Erdbestattungen, sondern auch, dass ein Thanatopraktiker ein Einbalsamierer ist, ein Leichenwagen Thanatomobil heißt und vor allem, dass bei einer Trauerfeier jeder Handschlag - pardon: jeder Handschuh eines Sargträgers - extra kostet. Apropos Thanatopraktiker: Das ist bei der "Pietät Sommer" der schweigsame Finne Matti mit dem unausprechlichen Nachnamen, der schon bald eine seltsame Zuneigung zu Maggie entwickelt. Eine Zuneigung, die so weit geht, dass er angesichts einer aktuell eingelieferten Verstorbenen zum vertraulichen Gespräch in den Leichenkeller bittet:

"Herr Matti, ich sehe nichts. Was ist denn?"
"Da."
"Flusen, ein gelber Flusen."
"Warum?"
"Und?"
"Immer gelbe Flusen. Ganz oft."
"Na schön. Gelbe Flusen. Woher kommen die? Trägt der Sensenmann doch nicht Schwarz?"
"Frau Abendroth!"

In ihrem früheren Leben als Fernsehspaßvogel hätte Maggie Abendroth aus der Situation ein brüllend komisches Drehbuch geschneidert. Aber das wirkliche Leben ist eben kein "Marienhof", deshalb drängt sich ihr hier, unten im Leichenkeller der Pietät Sommer, eine ganz andere Frage auf: Was versuchte der Finne mir zu sagen?

Wobei die Antwort so klar auf der Hand liegt wie die gelben Flusen auf den Lippen und den Augenlidern der Verblichenen...

"Es geht um die Flusen. Die gelben Flusen."
"Ja und weiter, Herr Matti."
"Ich habe das schon oft gesehen. Etwas stimmt nicht."
"Was soll womit nicht stimmen? Wie viele Leichen mit gelben Flusen haben Sie denn gesehen?"
"Ganz genau weiß ich das jetzt nicht mehr. 20 oder 25."
"So viele? In welchem Zeitraum denn?"
"Anderthalb Jahre."
"Sehen Sie denn einen Zusammenhang, Herr Matti?"
"Die Flusen."
"Ja, abgesehen davon."
"Alle sind sehr alt gewesen. Alleine."

Damit wird die Komödie zum Krimi. Dem Autorenteam Minck und Minck gelingt der Spagat zwischen den beiden Genres ganz ausgezeichnet. Was Maggie Abendroth und ihr wortkarger finnischer Vertrauter nach und nach über die dubiosen Geschäfte der "Pietät Sommer" und des mit ihr verbandelten Pflegedienstes herausfinden, das ist, bei allen Slapstick-Einlagen, eine wirklich gute - weil realistisch aufgezogene Kriminalgeschichte. In der findet Maggie Abendroth schließlich ihre wirkliche Rolle - als Schnüfflerin auf Miss Marples Spuren, mit Mutterwitz und Bodenhaftung. Eine wie wir sie hier lieben, im Ruhrgebiet, in Bochum. Auch wenn sie mitunter ziemliche Unruhe ins Krimi-Archiv bringen.
Autor: Reinhard Jahn

Minck & Minck
totgepflegt
Maggie Abendroth und der kurze Weg ins Grab
Droste-Verlag

2.4.08

Norbert Horst: Blutskizzen

Gänsehaut-Krimi-Tipp

Der Mann arbeitet zuviel und schläft zuwenig. Er isst, was grade in der Bäckerei in der Auslage liegt. Er ist Kommissar bei der Kripo und hat deshalb kein Privatleben, denn aus der mal-so-mal-so- Beziehung zu Ayse aus dem Imbiss wird wohl nie was festes werden. Er ist wohl so um die vierzig, dauernd auf dem Sprung aber dann auch wieder hochkonzentriert bei der Arbeit. Spuren sortieren, Berichte schreiben, die Dinge im Blick behalten. Und nein, der Mann hat kein Alkoholproblem wie so manch anderer Ermittler, dessen Fälle hier im Krimi-Archiv die Regale füllen.

"Tag. Mein Name ist Konstantin Kirchenberg, ich bin von der Kripo. Sie haben den Toten gefunden, Herr..."

In BLUTSKIZZEN von Norbert Horst hat Konstantin Kirchenberg jetzt seinen dritten Auftritt. Ein Kommissar, abseits der TATORT-Tüftler. Ein Kommissar, der direkt aus der Arbeit einer Mordkommission erzählt, hier und heute, irgendwo in Nordrhein-Westfalen. Ein Workoholic, ein Bulle mit Leib und Seele, genau wie seine Kollegen vom KK 11: Ernst, der im Dienst ergraute, Ulla, die pragmatische, Atze und Thorsten und natürlich Bruno, der im Moment Probleme mit seiner Frau hat. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
In BLUTSKIZZEN ist es ein toter alter Mann, mit dem der Fall beginnt, nackt, gefesselt, abgelegt in einem Müllcontainer an der Autobahn...

Der Schiebedeckel des Containers steht auf, ist zur Hälfte mit Müll gefüllt, darauf die Leiche, nackt, Seitenlage. Kräftiger Bursche für das Alter, aber nicht mehr der Jüngste. Die Arme auf dem Rücken, die Hände durch einen zusammengeknüllten Müllsack verdeckt. Wahrscheinlich gefesselt. Die Beine vor den bauch gezogen. Sieht aus wie ein Kind im Mutterleib. Obendrauf Plastiktüten, loses Papier, rosa, Pommesreste, eine Bonbontüte. >Nimm 2<. Auf den Unterschenkeln Eierschalen und Asche. Sein Kopf liegt auf einer leeren Plastikflasche, Eistee, Pfirsich. Auf dem Ohr ein halbes belegtes Brötchen, daneben ein angebissener Apfel. In der Restmülltonne, die Leute lernen's einfach nicht.
Seine Augen sind leicht geöffnet, der Mund auch, grauer Drei-Tage-Bart. Könnte 'ne Strangulationsspur sein, da am Hals. Ja, ist stranguliert worden. Sieht aus, als hätte er noch Schmerzen. Wollen wir mal nicht für dich hoffen. Die Haut lilagrau, am Rücken und an der Hinterseite der Beine dunkelrote Totenflecke.

Kein spektakulärer Fall, aber auch kein gewöhnlicher. Denn Kirchenberg und dem KK11 fallen die Parallelen zu einem anderen toten alten Mann auf, kürzlich entdeckt im Müllcontainer auf dem Hof eines Supermarktes. Ein Blick ins Auffindeprotokoll der Kollegen zeigt die Ähnlichkeiten:

Die Leiche liegt im mittleren der drei Behältnisse. Beim Eintreffen ist das Schiebelement zum verschließen etwa 30 cm aufgeschoben. Zur besseren Sicht wird der Deckel des Behälters weitere 30 cm geöffnet. Dazu wird die seitliche rechte Strebe des Deckel mit dem Handballen an der vorderen Kante nach hinten gedrückt. Der Container ist nach erster Einschätzung zu etwa zwei Dritteln mit Müll gefüllt, sodass die Leiche ca. 50 cm unterhalb der Öffnung liegt, in der Weise, dass der Kopf an der linken Seite liegt und das Gesicht nach vorne weist.

Das ist die trockene Prosa von Polizeiakten, die Norbert Horst genauso gut beherrscht wie den düsteren, vorwärtstreibenden Erzählstrom seines Kommissars Kirchenberg. Ein suggestiver Stakkatostil, mit dem er schon in seinen beiden ersten Büchern LEICHENSACHE und TODESMUSTER einen absolut neuen, faszinierenden Ton in den deutschen Polizeikrimi gebracht hat.

Denn Norbert Horst ist im Hauptberuf Polizist, Kriminalpolizist mit Erfahrungen aus verschiedenen Mordkommissionen. Was er über die Ermittlungen des KK 11 erzählt, ist also nicht das angelesene Wissen über Polizeiarbeit, mit dem sich manch anderer Krimi-Autor behelfen muss. Was Norbert Horst erzählt, macht klar, dass Ermittlungsarbeit aus dem geduldigen Bohren dicker Bretter besteht. Wie etwa der Suche nach dem hellen Kastenwagen, den ein Zeuge gesehen haben will.

"Konstantin Kirchenberg von der hiesigen Kripo. Ich brauchte eine Auskunft über ein Fahrzeug eines Ihrer Kunden."

Nur eine Spur von vielen, und scheinbar nicht einmal eine besonders Erfolg versprechende. Oder vielleicht doch der Ansatzpunkt, der die Ermittlung am Ende zu dem Serienmörder führt, der mindestens zwei alte Männer umgebracht hat...

"Konstantin Kirchenberg von der Kripo, Herr Gösebrecht, ich bräuchte nur ein paar Informationen von Ihnen."

Nicht aufgeben, überall nachfragen, mit Dutzenden von Informationen jonglieren, sie einordnen, ablegen oder weiter verfolgen: Das ist Kirchenberg der Besessene, der Profi, der sich trotz aller Abgebrühtheit von jedem neuen Fall immer noch anrühren lässt. Der es mit seinem hellwachen Blick schafft, auch uns Leser jedes Mal wieder mit hineinzuziehen in die Geschichte einer Mordermittlung, die nicht immer notwendigerweise mit dem tränengeschwängerten Geständnis eines Täters enden muss. Ganz und gar nicht. Eine Geschichte, die Polizeiarbeit auf eine ganz eigene, neue, faszinierende Art und Weise ausleuchtet - ein neuer Kirchenberg-Krimi eben.
Womit wir beim Gesetz der Serie sind, und zwar nicht nur der Mordserie, die Kirchenberg und seine Kollegen in BLUTSKIZZEN aufklären muss, sondern bei einer Krimi-Serie. BLUTSKIZZEN ist - wie gesagt - jetzt der dritte Kirchenberg-Krimi, und ab drei Romanen mit der selben Hauptfigur liegt nach den Regeln des Krimi-Archivs eine Serie vor, für die wir jetzt mal ein ganzes Regalbrett reservieren. Und: wenn hier im Krimi-Archiv mal ein Mord passieren sollte, möchte ich, dass Kirchenberg den Fall bearbeitet.
Autor: Reinhard Jahn

Norbert Horst
Blutskizzen
Goldmann Taschenbuch

Yasmina Khadra: Morituri

Schwarz, schwärzer, Khadra: ein Regionalkrimi der anderen Sorte. Das Algier der Korruption und der Gewalt, das Mohammed Moulessehoul alias Yasmina Khadra beschreibt, ist die CNN/MTV-Adaption von Hammetts "Poisonville".

Inspektor Llob auf der Suche nach der Lösung seines Falles ist ein Getriebener: Wo es kein Recht und schon gar keine Gerechtigkeit gibt, bleibt allein die Frage nach der Wahrheit. Die Spur die Llob verfolgt, legt einen Schnitt durch eine Gesellschaft und einen Staat, in der ein Polizist seinen Job wahrscheinlich nur ordentlich machen kann, wenn er wie Llob zugleich auch Schriftsteller ist: die Phantasie macht ihn frei, im Durcheinander von korrupten Verstrickungen das Denkbare zu denken, das Wahrscheinliche für möglich zu halten und sich dabei nicht anstecken zu lassen.

Khadra erzählt hart, aber nicht wegen des Effektes, seine Figuren liegen in der Nähe der Karrikatur - aber nur, weil sie erst da ihr wahres Gesicht zeigen. Dies alles und der Stenogrammstil, in dem er den Kriminalfall entwickelt, machen den Roman zu einem gemeinen Tritt zwischen die Beine aller Freunde von traditionellen Landhaus-Geschichten: Es schmerzt, aber für einen Moment sieht man, wie die Dinge wirklich sind.

Yasmina Khadra:
Morituri
Deutschsprachige Erstausgabe 1999 im Haymon Verlag,
Taschenbuch UT metro 209