7.9.07

Gabriella Wollenhaupt:
Grappa und die Nackenbeißer

Seit er die schöne Fremde gesehen hatte, war Graf Gero von Greiffenclau wie verzaubert. Das Sonnenlicht ließ das blonde Haar wie gesponnene Seide schimmern. Graf Gero hob sein Fernglas an die Augen. Sein Herz pochte...  

Keine Sorge, Sie sind immer noch bei mir im Krimi-Archiv und das ist immer noch der Krimi-Tipp und nicht die Rubrik "Herz und Schmerz-Roman". 

 Sie war so reizend anzusehen, dass Graf Gero regungslos dasaß und den Blick nicht wenden konnte.

Das ist eine Stelle aus einem "Nackenbeißer". Nackenbeißer sind keine Vampirgeschichten, sondern Liebesromane, auf deren Titelbildern sich überaus muskulöse Helden leidenschaftlich über die zarten Heldinnen beugen, so, als wollten sie sie gleich in den Nacken beißen. Wir alle kennen diese Romane - nein, natürlich nicht weil wir sie selber lesen, sondern weil wir sie bei unserer Mutter, unserer Freundin oder der Arbeitskollegin gesehen haben. Lilo von Berghofen lebt in Bierstadt und sie schreibt mit unermesslichem Erfolg Nackenbeißer in Serie. Für Maria Grappa, Star-Reporterin des Bierstädter Tageblatts, ist sie aber deshalb noch lange nicht die Wunschkandidatin für eine Reportage -

War ich wirklich schon so tief gesunken, Artikel für die bunten Seiten des Bierstädter Tageblatts produzieren zu müssen?


Doch Grappas Chefredakteur Peter Jansen besteht darauf, dass sie die Bestsellerkönigin portraitiert - was sich allerdings als unmöglich erweist, denn Lilo von Berghofen hat in ihrem exzentrischen "Haus Rabenhügel" am Rand der Stadt soeben das Zeitliche gesegnet. Vor Ort ermittelt die Mordkommission - und damit ist die Story schon eher nach Grappas Geschmack.

Ich machte mich an die Arbeit. (...) TOD AUF DEM RABENHÜGEL titelte ich.


Und weil Maria Grappa ihr journalistisches Handwerk versteht, erfährt sie nicht nur schnell, dass die Erfolgsautorin an Rizin starb, ein Gift, das man ziemlich leicht aus der Rizinuspflanze gewinnen kann...

...ein paar Samen in einem Mörser zerstoßen und fertig.

...sondern auch, dass Lilo von Berghofen eigentlich Gerlinde Bomballa hieß und die Jugendliebe ihres Chefs Peter Jansen war. Und als ob das noch nicht genug wäre gibt Jansen zu, dass er sich in der letzten Zeit wieder mit Lilo alias Gerlinde im Haus Rabenhügel getroffen hat. Kein Wunder, dass die Polizei ihn deshalb als Mordverdächtigen behandelt. Doch es kommt noch besser:

Jansen nahm den Becher, die Hand zitterte. "Mich erreichte gerade ein Anruf", berichtete er. "Von einer Anwaltskanzlei. Lilo hat mir ihr ganzes Vermögen hinterlassen. Rund zehn Millionen Euro."
Ich begriff sofort, dass Jansen nun ein dickes Problem hatte.

Gabriella Wollenhaupt gönnt uns keine Atempause - GRAPPA UND DIE NACKENBEISSER ist keine Nackenbeißer-Schmonzette, sondern ein temporeicher Kriminalroman aus dem Journalistenmilieu, ein ironischer Frauen-Zeitung-Regionalkrimi sozusagen. Maria Grappa ist ganz und gar nicht auf den Mund gefallen. Ihr erzählerisches Temperament reißt mit, auch wenn sie diesmal weniger metaphernstark ist als in ihren früheren Romanen. Doch dafür nimmt die Mordgeschichte immer neue Wendungen, immer wieder garniert mit wunderbar knappen Skizzen aus dem Journalisten- und Kleinstadtmilieu im Ruhrgebiet:

Bevor ich zur Redaktion fuhr, stoppte ich vor der Bäckerei. "Tach auch", sagte ich. (...) Frau Schmitz hielt die Blöd-Zeitung in der Hand "Oweia", sagte sie unheilvoll. "So isses. Kann ich mal sehen?" Sie reichte mir das Blatt. ZEHN MIO FÜR EINEN MORD? - stand in großen Lettern auf der Titelseite. Auf einem der Fotos war Peter Jansen zu sehen, wie er gerade zu einem Polizeiwagen begleitet wurde. (...) "Hat der Jansen das getan?", stellte die Bäckerin die Frage aller Fragen. "Natürlich nicht", antwortete ich im Brustton der Überzeugung. "Darf er das Geld behalten, wenn er's doch war?" "Liebe Frau Schmitz", sagte ich leicht angesäuert. "Das war die falsche Frage. Ich werde ihn rausholen und zwar bald!"

Bis sie das schafft, muss Maria Grappa allerdings noch einer Menge widerspenstiger Zeugen auf die Füße treten, sich mit dem Geheimnis von Dürers MELANCOLIA beschäftigen und sich sogar mit einem veritablen Magier herumschlagen, der eine mysteriöse Rolle in Lilo von Berghofens letzten Stunden spielte. Und das alles nur, um darüber im Bierstädter Tageblatt zu berichten? Nein - das alles, um uns mit dieser gekonnt ausbalancierten Mischung aus Ironie und Realismus zu unterhalten, den nur Grappa-Krimis haben. Autor: Reinhard Jahn  (WDR5 Gänsehaut-Krimitipp 25.6.2007)


Gabriella Wollenhaupt
Grappa und die Nackenbeißer
Dortmund: Grafit-Verlag, 2007

2.9.07

Unknown Identity



Kaum war die Story von den deutschen Autoren, die sich hinter amerikanischen Decknamen verbergen, in der Welt (siehe Marc Van Allen), da entdeckt man bei SPIEGEL online, dass die aktuelle KiWi-Neuerscheinung "Das fünfte Flugzeug" offenbar auch in diese Kiste gehört: Von dem Autor "John S. Cooper" hat man noch nie etwas gelesen, weder hier, noch in den USA, und gleiches gilt für den "Übersetzer" des KiWi-Titel "Sam van Heist".
Das war nun auch nicht soo schwer, wenn man sich ein bisschen in der Branche auskennt und auf der Impressums-Seite des Thrillers weder einen englischen Originaltitel noch einen Original-US-Verlag entdeckt.
SPon-Autor Yassin Musharbash schießt dann auch schnell aus der Hüfte: "Ein schrecklicher Verdacht tut sich auf: Ist "Das fünfte Flugzeug" am Ende gar kein amerikanisches Buch? Wer soll hier warum verwirrt werden? Hat am Ende vielleicht gar ein deutscher Autor ..."
Ja. Klar. Aber wer?
Zuerst einmal - wem traut man zu, sich die straighte Story vom abgewrackten US-Starjournalisten Max Fuller auszudenken, der von einem mysteriösen Informanten hoch brisante Informationen über das Komplott hinter den Anschlägen vom 9.September zugespielt bekommt? Das geht Schlag auf Schlag: konspirative Treffen, Attenate und das Aus für Mike Donovan, den Informanten, der als Pilot des "fünften Flugzeugs" in die Vorfälle von 9/11 verwickelt ist.
Donovans Tod führt Schnüffler Fuller mit Donovans Tochter Liz zusammen, die das brisante Material von ihrem dadyd geerbt hat. Eine Hetzjagd der bösen Mächte auf Fuller und Liz beginnt - filmfertig geschrieben: Tempo, Tempo, Tempo.
Dazwischen werden alle kursierenden 9/11-Verschwörungstheorien hin- und her gewendet bis man am Ende wirklich nicht weiß, was von den angeblich gesicherten Fakten des Anschlages nun wirklich stimmt. Und welche Fragen die Skeptiker zurecht (oder zu Unrecht) stellen.

Eine straighte Sory, ein Held mit einer Vorliebe für Malt-Whisky (Lagavulin), action und filmorientiertes Schreiben - das kennt man so und in dieser Form eigentlich nur von Frank Schätzing - seit seinem "Schwarm" Autor bei KiWi, aber mit "Lautlos" und "Die dunkle Seite" schon als versierter Thriller-Autor ausgewiesen. Wobei er sein "Lautlos"-Plot so geschickt in den G-8-Gipfel von 1999 eingestrickt hat, dass man auch da kaum weiß, wo die Fakten aufhören und die Fiktion anfängt.