24.8.07

Robert B. Parker - Der stille Schüler


Spenser ist zurück, der Privatdetektiv aus Boston, der 1973 seinen ersten Auftritt hatte und einige Zeit von der deutschen Szene verschwunden war. Spenser, dessen Autor Robert B. Parker über die "Schwarze Serie" promoviert hat und der - weil man ihn für den legitimen Nachfolegr von Raymond Chandler hält, vor einige Zeit auch ein Philip Marlowe-Fragment aus dem Nachlass Chandlers komplettiert hate (The Poodle Springs Story).

Bei Spenser sitzt Lily Ellsworth, eine alte, sehr schöne Dame, und sie hat einen Auftrag: Spenser soll beweisen, dass ihr Enkel Jared unschuldig ist.
Was ist passiert? Ein paar Wochen vorher sind zwei Jugendliche, maskiert und bewaffnet mit "vier Neunern" (eine Browning, ein Colt, zwei Glocks) die Hauptschule von Dowling vor den Toren Bostons betreten und haben fünf Schüler und zwei Lehrer erschossen. Die Polizei hat das Gebäude umstellt und mit den Jungen verhandelt, die sich in der Bibliothek verschanzt hatten. Man hat es geschafft, dass einer der Täter - Wendell Grant - aufgab und rauskam. Der andere Täter war verschwunden - aber Wendell nannte seinen Namen: Jared Clark. Der Enkel der alten Dame. Seitdem warten die beiden auf ihren Prozess.
Dass Jared unschuldig sein soll, glaubt seine Großtmutter gegen jede Vernunft: Die Beweise sind klar, Jared hat die Tat zugegeben, schweigt aber seitdem.
Spenser ermittelt wie die guten alten Privatdetektive vom Schlag Marlowes ermitteln. Er geht hin und fragt den und fragt den, er gerät mit der örtlichen Polizei aneinander, lernt verzweifelte oder ignorante Eltern kennen und eine Jugendgang, mit der zumindest einer der Attentäter abgehangen hat.
Aber er je weiter er gräbt, desto erdrückender werden die Beweise für Jareds Schuld. Nur das Motiv für seinen Amoklauf rückt immer weiter weg.

Der Roman ist eine Erleuchtung - nicht wegen des Themas, sondern wegen Parkers Stil. Wegen des klassischen Helden, wegen der eleganten Dialoge, von denen jeder genau auf den Punkt sitzt.

Spenser ist zurück. Ein Klassiker. Und dabei frischer und vitaler als 90 Prozent der aktuellen Krimis.

Robert B. Parker
Der stille Schüler
Pendragon

8.8.07

Birkefeld & Hachmeister:Deutsche Meisterschaft

Ich will ehrlich sein: Nein, der Roman ist bei mir nicht auf der Pole-Position gestartet. Erstens habe ich keinen Führerschein, und zweitens leuchten mir Männer, die auf Motorrädern im Kreis herumfahren, ebensowenig ein wie Erwachsene, die einem Ball hinterherlaufen. Und dann spielt DEUTSCHE MEISTERSCHAFT – nomen est omen! – auch noch im Jahre 1926. Also nicht nur ein Sportroman, sondern auch noch ein historischer Krimi? Ne, lieber nicht.
Wären da nicht die beiden Autoren gewesen, Birkefeld und Hachmeister, dann wäre das Buch auf dem Stapel mit Krimis gelandet, die irgendwann ungelesen in die Regale des Krimi-Archivs wandern. Denn Birkefeld und Hachmeister hatten vor vier Jahren mit ihrem Debüt WER ÜBRIG BLEIBT HAT RECHT nicht nur mich, sondern auch die Jury des Deutschen Krimi Preises nachhaltig beeindruckt, mit einer Kriminalgeschichte, angesiedelt 1944, in den letzten Tagen des Bombenkrieges in Berlin.

Knapp zwanzig Jahre vorher spielt jetzt also DEUTSCHE MEISTERSCHAFT, in München und Berlin und auf den Rennstrecken von Hannover, Karlsruhe, Stuttgart. Das Schlussrennen, die Märkische Herbstfahrt, wird in Werneuchen bei Berlin ausgetragen. Noch nie gehört? Ab jetzt kennt man das Kaff.

Es geht um zwei Fahrer, die gegensätzlicher nicht sein könnten - Falk von Dronte auf seiner VICTORIA, ein junger, national gesinnter Adeliger aus Pommern, der in die Aufstände und Putschversuche geraten ist, mit denen die Nationalen nach Kriegsende gegen den Versailler Vertrag kämpften, und gegen jene, die ihn unterzeichnet hatten, die von ihnen so genannten Novemberverbrecher.
Falks gefährlichster Gegner der Deutschen Meisterschaft im Motorradrennen 1926 ist Arno "Karacho" Lamprecht, Veteran des ersten Weltkriegs, der bei dem zwielichtigen Eckhard Bammel und seinem SAROLEA-Rennstall untergekommen ist, ohne zu wissen, dass Bammel in den Wirren des Nachkriegsjahres 1923 mit seiner Firma FAHR UND KIPP genau für dieselbe vaterländisch-kriminelle Vereinigung schmutzige Fahraufträge erledigt hat, für die Falk von Dronte seinerzeit einen vermeintlichen Verräter brutal exekutiert und am Stadtrand von München verscharrt hat.

Worauf hatte er sich damals nur eingelassen? Damals - als jedes zweite Wort Verrat war! Verrat am Vaterland, Verrat am Volke, Verrat an der nationalen Sache, Waffenverrat, Kameradenverrat, Hochverrat, überall lauerte Verrat, und man lebte in einer verratenen Welt unter den Knebelungen des Schandvertrages, unterschrieben von den elendsten aller Verräter, den Novemberverbrechern. Wer diese Verräter oder ihre Sympathisanten erschoss, handelte in Volksnotwehr, im Namen der aufrechten Feme. Damals hatte sogar die Justiz dafür Verständnis. Aber heute? Konnte man immer noch automatisch mit Milde und Freispruch rechnen?

Jetzt, drei Jahre nach dem Mord, ist die Leiche des Verräters gefunden worden - ohne Kopf. Damit wird Falk von Dronte klar, dass es in der Gruppe von damals einen Erpresser gibt, der sie nun mit dem Mord unter Druck setzen kann. Oder hat möglicherweise ein anderer, ein Serienmörder, etwas mit der Sache zu tun, dessen Opfer - männlich, jung - immer nach einem Rennen zur Deutschen Meisterschaft am Rand der Strecke gefunden werden - ohne Kopf? Ist gar Arno Karacho Lamprecht in die Sache verwickelt - der damals in München unter dem Verdacht stand, seine Verlobte Vera enthauptet zu haben?

Politik, Motorradsport und Mord vor dem Hintergrund deutscher Geschichte, das ist das Konzept der beiden studierten Historiker Richard Birkefeld und Göran Hachmeister. Die beiden erzählen ihre Geschichte mit Liebe zum Detail, ohne dabei detailverliebt zu werden und ihre Figuren aus dem Blick zu verlieren:
# Falk von Dronte, das ein bisschen zu naive Milchgesicht, das den Einflüsterungen der nationalen Scharfmacher erlegen ist;
# Arno Lamprecht, der halt- und heimatlose Kriegsveteran, der keine Ahnung hat, was der Chef seines Rennstalles noch so treibt,
und zwischen beiden Männern die kapriziöse Thea von Bock, Society-Girl und - heute würde man sagen: Boxenluder im Rennsportgeschäft. Eine Frau, die seidene Dessous trägt und Matrosenanzüge, und die sich den Teufel um die Politik schert, solange sie genug Kokain und Champagner hat, um das Leben zu genießen.

"Fahren Sie denn auch Motorrad, Thea?"
"Rasend gern", sie lächelte leicht, "Aber es ist nicht nur das Fahren, das reine Fortbewegen von A nach B, das mich so fasziniert."
"Sondern?" Er wollte schnell wieder in ruhigere Gewässer.
"Es ist das Hingeben, Arno", ihr Kopf neigte sich leicht zur Seite, und ihre Augen schienen sich zu verklären, "verstehen Sie, dieses Sichverlierenkönnen in der Geschwindigkeit einerseits und andererseits dieses Wache, dieses Angespannte, das einen diese raffinierte Technik beherrschen lässt!".

Genauso bin auch ich als sport-hassender Krimi-Archivar von diesem Buch verführt worden - man kann sich regelrecht fallen lassen in die erhitzte Atmosphäre von Motorradrennzirkus und Weimarer Republik – und in die solide gebaute Kriminalstory. Hier fügen sich Politik, Geschichte, Motorradrennen und Mord zu einem spannenden historischen Krimi, der – eine reife Leistung! - sozusagen aus der zweiten Reihe heraus einen überlegenen Sieg herausfährt.
Autor: Reinhard Jahn

Birkefeld & Hachmeister:
Deutsche Meisterschaft
Eichborn Verlag

WDR5 Gänsehaut - Der Krimitipp
Erstsendung 21.10.2006, 10.55 Uhr

WDR5

5.8.07

John Katzenbach: Die Anstalt

Francis Petrel sitzt in einer Anstalt. Er hat ein paar Probleme mit seinen Eltern gehabt - genaues erfährt man nicht - und die haben dazu geführt, dass er jetzt in Amherst sitzt. Zusammen mit Napoelon, dem genialen Schlachtenlenker, zusammen mit Cleo Cleopatra, der Herrscherin Ägyptens und begnadeten Tischtennisspielerin, zusammen mit dem NEWSMAN, der jeden Tag die Zeitung auswendig lernt.

Wie alle in der Anstalt hat Francis Petrel schon bald einen Spitznamen. Er ist C-Bird, genau wie sein neu gewonnener Freund Peter einfach Peter the Firemann - Peter der Feuerwehrmann - ist. Weil er in seinem früheren Leben wirklich Feuerwehrmann war, ehe er höchstpersönlich eine Kirche samt Priester niedergebrannt hat.

Und dann gibt es noch das Personal in Amherst: Dr. Evans, den man Dr. Evil nennt, den indischen Dr. Guptili, der zu Dr. Gulp-a-pill - Doktor Nimm-eine-Pille- wird. Die Brüder Moses, die Stationspfleger, sind einfach Big Black und Little Black - und die Hilfsschwester heißt kurz und einfach Short Blond.
Alles könnte seinen geregelten, medikamentös sedierten Gang gehen in der Station in unserem kleinen Irrenhaus am Rande der Satdt, wenn nicht plötzlich ein irrsinniger Killer zuschlagen würde: Short Blond, die Hilfsschwester liegt eines Morgens brutel ermordet in einer Abstellkammer.

Keine schöne Sache, vor allem für die Anstaltsleitung nicht. Sie ist nur zu gern bereit, der Polizei zu glauben, die den zurückgebliebenen Irren Lanky aufgrund der Indizien verhaftet, um ihm den Mord anzuhängen.
Für Peter the Fireman und Francis C-Bird stellt sich die Sache aber ganz anders dar, ebenso wie für Lucy Jones, eine Staatsanwältin, die die Ermittlungen halboffiziell an sich zieht und sich in der Anstalt einquartiert. Denn die Art und Weise, wie Short Blond umgebracht wurde, erinnert Lucy an zwei weitere Mordfälle an kurzhaarigen jungen Frauen in den letzten zehn Jahren. Was wäre - so ihre Hypothese - wenn der Täter, ein hochgefährlicher Serienkiller - jetzt in der Anstalt sitzt und dort sein Unwesen zu treiben begonnen hat?
In Francis C-Bird und Peter the Fireman findet Lucy Mitermittler, die ihr helfen wollen, dem Killer das Handwerk zu legen.

Aber sollten wir bei der ganzen Geschichte nicht auch darauf achten, dass sie für uns Leser von Francis C-Bird erzählt und aufgeschrieben wird? Von Francis, der Stimmen hört? Der sicher nicht umsonst in der Anstalt sitzt. Kann es vielleicht sein, dass wir hier ganz geschickt - und im wahrsten Sinn des Wortes - in die Irre geführt werden?

Traue niemand. In der Anstalt ist der Wahnsinn normal. Ein mörderisches Verwirrspiel um Normalität und Irrsinn.

John Katzenbach
Die Anstalt
Knaur

Tannöd und die Klone


Erst Krimiwelt-Bestenliste, dann Deutscher Krimipreis, schließlich Spiegel-Bestseller-Liste und so weiter und so fort - Tannöd von Andrea Maria Schenkel hat seinen Weg gemacht. Ein ungewöhnliches Buch, eine ungewöhnliche Erzählung in der deutschen Krimilandschaft, in der sich sonst nur die heiteren und cleveren Kommissarsteams (gern auch M/F) die Klappentexte in die Hand geben.

Und schon gibt es, kaum ein ein Jahr nachdem Tannöd erschienen ist, die ersten Klone, die meinen, die Erfolgsformel in Schenkels Nachkriegs-Provinzkrimi gefunden zu haben und glauben, sie reproduzieren zu können.

Etwa mit Gottes Mühlen von Lilo Beil. Schon im März erschienen und vorsichtshalber noch als "Südpfalz-Krimi" gelabelt, für den Fall, dass noch jemand auf der Regionalkrimi-Welle schwimmt.
Die Zeit: 1957, der Schauplatz: ein pfälzisches Örtchen namens Pfaffenbronn, "die Stimmung im Dorf braut sich zusammen. Des Mordes verdächtigt wird der Außenseiter Otto Straub..."

Ebenfalls in die Provinz und in die Vergangenheit geht es mit Rainer Groß in Grafeneck:
Tannöd heißt hier Buttenhausen und liegt in der Schwäbischen alb, und die Geschichte des Verbrechens geht zurück ins Dritte Reich.

Unterdessen haben Andrea Maria Schenkel und ihr Verlag das einzig Richtige getan, was man nach einem Erfolg wie Tannöd tun konnte: Mit Kalteis wird ein eigener Tannöd-Klon geschaffen (sozusagen die Original-Nachahmung). Schauplatz und Zeit (München, 30er Jahre) gerade weit genug vom Tannöd entfernt, damit die Kopie halbwegs wie neu wirkt. Aufmachung und Umfang nahezu identisch und Stil und Dramaturgie ganz nach dem Tannöd-Modell: Zeugenaussagen. Atmophärische Skizzen. Erinnertes Protokoll. Erlebte Rede. (Und die Hörbuchfasung wieder gelesen von Monica Bleibtreu).

Kein Wunder, dass die Orginal-Nachahmung schon bei Erscheinen wieder ihren Platz auf der Bestseller-Liste hat.